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Kreislaufwirtschaft
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Baumaterialien im Kreislauf halten

Marianne Stünzi
Bauarbeiter brauchen Recyclingasphalt für den Bau.

·

7 Minuten Lesezeit

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Mineralische und metallische Ressourcen einsparen, den knappen Deponieraum schonen und die Abhängigkeit von globalen Lieferketten reduzieren: Es gibt zahlreiche Gründe, Baumaterialien im Kreislauf zu halten. Möglichkeiten dazu ebenfalls.

Bauabfälle bilden den grössten Abfallstrom in der Schweiz. Jährlich fallen rund 16 Millionen Tonnen an. Zwei Drittel des Rückbaumaterials gelangen ins Recycling, wo sie zu Sekundärrohstoffen aufbereitet werden. Diese substituieren heute rund 15 bis 20 Prozent des jährlichen Bedarfs an Kies im Hoch- und Tiefbau. Recyclingbaustoffe sind heute Baustoffen aus Primärrohstoffen betreffend Qualität und technischer Eigenschaften weitgehend ebenbürtig. 

Ein Drittel oder jährlich rund 5 Millionen Tonnen Bauabfälle landen jedoch nach wie vor in einer Deponie. Gemäss Yann Huet, Inspektor beim ARV, dem Branchenverband für Baustoffrecycling, ist es das Ziel der Recyclingbranche, diesen Anteil zur Schonung der natürlichen Ressourcen und des knappen Deponieraums zu reduzieren.  

Hürden und Herausforderungen 

Ein Grund für den hohen Anteil an nicht rezyklierbarem Material ist der Umstand, dass heute vor allem Bauten aus den 1940er- bis 1960er-Jahren mit einem hohen Anteil an Backsteinen und anderen betonfremden Materialien zurückgebaut werden. «Bis vor kurzem fehlte die Technologie, um dieses Material zu rezyklieren», stellt Yann Huet fest. «Heute stehen dank innovativer Unternehmen Lösungen zur Verfügung und es lässt sich für Einsatzbereiche mit geringeren technischen oder statischen Anforderungen aufbereiten. Diesen aktuellen Stand der Technik gilt es nun, breit anzuwenden.» Ab den 1960er-Jahren setzte sich Beton als Baustoff dann durch, was das Recycling künftig erleichtert. 

Ein weiterer Grund sind Schadstoffe wie Asbest, polychlorierte Biphenyle (PCB), polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) oder Schwermetalle, die beim Bau bis in die 1980er-Jahre eingesetzt wurden. Diese müssen beim Rückbau aussortiert und fachgerecht entsorgt oder deponiert werden. Zudem erschweren Verbundstoffe und verklebte Bauteile das Recycling. 

Ein dritter Grund sind fehlende Absatzkanäle. Während der Markt für RC-Beton mittlerweile recht gut funktioniert, besteht für den Einsatz von RC-Asphalt viel Luft nach oben. Das liegt zum einen daran, dass der Bedarf an Beton im ständig wachsenden Gebäudepark sehr hoch ist, während das Strassennetz in seiner Ausdehnung einigermassen stabil bleibt.  

Kreisläufe schliessen konkret 

Gute Beispiele aus der Praxis helfen wesentlich mit, die Akzeptanz der Recyclingbaustoffe zu erhöhen und damit auch die Nachfrage zu steigern. Hier übernimmt die öffentliche Hand eine wichtige Vorbildfunktion.  Das gilt auch für die SBB. In ihrer neuen Strategie 2030 hat sich das öffentlich-rechtliche Unternehmen unter anderem zum Ziel gesetzt, Kreislaufwirtschaft zum Standard zu machen. Mit verschiedenen Massnahmen setzt «SBB Infrastruktur» dieses Ziel bereits konkret um. 

Die SBB hat sich zum Ziel gesetzt, Kreislaufwirtschaft zum Standard zu machen.

Den Anfang machte eine Materialflussanalyse. Diese zeigte auf, dass 80 Prozent des verbauten Materialbestands der SBB in der Infrastruktur gebunden sind. «Wir sitzen auf einem riesigen Materiallager», konstatiert Birgit Elsener, die für Kreislaufwirtschaft und nachhaltiges Bauen verantwortliche Projektleiterin bei «SBB Infrastruktur». «Das bedeutet eine grosse Chance, aber auch eine grosse Verantwortung, bei der Kreislaufwirtschaft vorwärtszumachen und die Ressourceneffizienz zu fördern.» Die Analyse zeigte auch, welches die wesentlichen Materialien sind: Mengenmässig dominant sind mineralische Baustoffe wie Schotter, Sand, Kies und Beton, von der Umweltbelastung her stehen die Metalle Kupfer und Stahl im Vordergrund. 

RC-Asphalt salonfähig machen 

Im Rahmen der Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes steht die SBB vor der Aufgabe, hunderte von Perrons anzupassen. Sie liess deshalb eine Ökobilanz über ein Standardperron erstellen, die aufzeigte, dass sich die Umweltbelastung durch den Einsatz von RC-Asphalt um ein Viertel senken liesse. «Das haben wir zum Anlass genommen, um zusammen mit der Eidgenössischen Material- und Forschungsanstalt (Empa) als Forschungspartner Versuche mit RC-Asphalt an verschiedenen Ostschweizer Bahnhöfen durchzuführen», so Birgit Elsener. «Die Vorgabe war, dass die Perrons dieselben technischen Anforderungen wie die Perrons aus Frischasphalt erfüllen und dass die Kundinnen und Kunden optisch keinen Unterschied feststellen.» Nach drei Versuchen stand das optimale Verhältnis von RC- und Frischasphalt fest und es war klar, worauf man für das gewünschte Ergebnis bei der Verarbeitung achten muss. Heute baut oder erneuert die SBB ihre Perrons standardmässig und verbindlich mit einem Recyclinganteil von 60 Prozent in der Tragschicht und 40 Prozent in der Deckschicht. Aus ökonomischer Sicht zeigt sich gemäss Birgit Elsener in der Praxis, dass RC-Asphalt je nach Situation das eine Mal etwas teurer, das andere Mal etwas günstiger ist als Frischasphalt. «Insgesamt ist es ein finanzielles Nullsummenspiel.» 

Die Lebensdauer von Bauteilen verlängern 

Allerdings ist Recycling nicht der beste aller Kreisläufe. Sinnvoller ist es, die Lebensdauer von ganzen Bauteilen durch Auffrischen und Weiterverwenden zu verlängern. Das zeigt eine Ökobilanz zu den SBB-Fahrleitungsmasten. Ihre technische Lebensdauer beträgt ganze 80 bis 100 Jahre, da sie keinerlei mechanischer Belastung ausgesetzt sind. Dennoch gelangen sie meist nach rund 40 Jahren ins Recycling und werden neu beschafft. «Sinnvoller wäre es, sie wieder einzusetzen und bis zum Ende der technischen Lebensdauer im System zu behalten», ist Birgit Elsener überzeugt. Das Auffrischen, neu Verzinken und Weiterverwenden kann die Lebensdauer der Masten verdoppeln und reduziert die Umweltbelastung im Vergleich zu externem Recycling und Neubeschaffung auf ein Fünftel. «Wir sind mit Hochdruck daran, die Weiterverwendung nicht nur von Masten, sondern auch von Fahrleitungsmaterial voranzutreiben», betont Birgit Elsener. Steigen die Rohstoffpreise, wird das Thema Aufbereiten und Weiterverwenden auch wirtschaftlich zunehmend interessant. Zudem reduziert es die Abhängigkeit von globalen Lieferketten. «Auch die SBB hat Stahl aus Mariupol bezogen. Wir alle wissen, was mit diesem Stahlwerk passiert ist.» 

Eine Grafik von carbotech für die Umweltbelastung nach Arbeitsschritten.

Im Vergleich zu Recycling und Neubeschaffung verursacht die Aufbereitung und Weiterverwendung von Fahrleitungsmasten nur ein Fünftel der Umweltbelastung. Bild: Carbotech

Positive Erfahrungen teilen 

Mit Ressourcen effizienter umgehen und ein Konzept zur Kreislaufwirtschaft erarbeiten, will auch die Gemeinde Muri bei Bern. Sie wurde vom Schweizerischen Gemeindeverband als Pilotgemeinde ausgewählt, um in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Ressourceneffizienz Reffnet eine Potenzialanalyse durchzuführen. «Diese hat in einem kompakten und motivierenden Prozess eine Auslegeordnung für zirkulare Ansätze ermöglicht und wertvolle Inputs geliefert», erklärt Benedict Wyss-Käppeli, zuständiger Projektleiter der Bauverwaltung Muri. «Aus der Vielfalt an Ideen haben wir drei mögliche Projekte ausgewählt, wovon zwei auf den positiven Erfahrungen der SBB beruhen, welche der Reffnet-Experte einbringen konnte.» Die Gemeinde wird nun prüfen, ob sich die Lebensdauer der Strassenkandelaber durch Auffrischen und Umrüsten auf LED verlängern lässt und welche Möglichkeiten sie für den Einsatz von RC-Asphalt hat. Zudem prüft sie, Strassenrandsteine künftig an Lager zu nehmen und wieder einzusetzen. 

Zirkularität von Anfang an mitdenken 

Dass ihre Projekte auf Interesse stossen und andere zum Handeln animieren, freut Birgit Elsener. Mit der neuen Generation der Bahntechnikgebäude gehen die SBB noch einen Schritt weiter und verlangen bereits bei der Ausschreibung deren vollständige Kreislauffähigkeit. Die Bahntechnikgebäude werden in Zukunft aus Holzelementen modular aufgebaut. Die Fassade wird aus vorgehängten Holzelementen und optional aus Photovoltaik-Modulen bestehen. Auch das Dach steht für eine Photovoltaik-Anlage zur Verfügung. Diese Gebäude erhitzen sich weniger stark als die heutigen aus Beton, der Bedarf an Kühlung der elektronischen Anlagen sinkt. Alles wird gesteckt und nichts wird geklebt. Am Ende der Lebensdauer kann das Gebäude in seine Einzelteile zerlegt werden. So lassen sich die Materialien sortenrein zurückgewinnen und ganze Bauteile wieder einsetzen. 

Der Artikel ist im «Thema Umwelt» 2/2022 erschienen.
Titelbild: SBB

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