Gemeinde
Beschaffung
Praxisbeispiel

Meyrin setzt auf nachhaltige Beschaffung

Denise Lachat
Zwei Plakate von Meyrin

·

7 Minuten Lesezeit

Beschaffung

Praxisbeispiel

Eine gesunde Stadt für ein gesundes Leben: Unter dieses Motto hat der Stadtrat von Meyrin sein Legislaturprogramm für die Jahre 2020 bis 2025 gestellt. Die politische Zielsetzung spiegelt sich auch innerhalb der Stadtverwaltung wider, und zwar in den Richtlinien, die die Genfer Gemeinde für nachhaltige Beschaffung anwendet. Seit 2019 ist Véronique Diebold für deren Umsetzung in der Verwaltung verantwortlich. 

Bereits vor mehr als zwanzig Jahren haben sich die Stadtpolitiker:innen das Ziel gesetzt, Meyrin mit seinen über 26000 Einwohner:innen zu einer nachhaltigen Stadt zu machen. Meyrin war die erste Genfer Gemeinde, die 2002, 2006 und 2010 mit dem Label «Energiestadt» ausgezeichnet wurde, 2014, 2018 und 2022 erhielt sie zusätzlich das Label «European Energy Award Gold». Véronique Diebold, die für das verwaltungsinterne Nachhaltigkeitsmanagement zuständig ist, bezeichnet ihre Aufgabe in der Verwaltung daher ganz selbstverständlich als «Wertschätzung der Arbeit, die bereits geleistet worden ist». Sie räumt jedoch ein, dass nachhaltige Beschaffung für viele ihrer 600 Kolleg:innen in der Verwaltung ein etwas vages Konzept war, als sie 2019 eingestellt wurde – und das trotz der Tatsache, dass bereits im Jahr 2017 eine verwaltungsinterne Politik der nachhaltigen Entwicklung formuliert worden war und nachhaltige Beschaffung zu den Schwerpunktthemen gehörte. Es brauchte also eine:n Verantwortliche:n, um diese Politik intern effektiv umzusetzen, zumal die Verwaltung in Meyrin ganze 17 Abteilungen umfasst und die Beschaffung nicht zentralisiert ist.  

Politische Unterstützung ist zentral 

Véronique Diebold erzählt, dass die Notwendigkeit nachhaltiger Beschaffung in den einzelnen Abteilungen nicht umstritten ist. Die Umsetzung in der Praxis sei jedoch etwas kompliziert. Während bereits die regulären Kriterien für die öffentliche Beschaffung komplex sind, stellen hinzukommende interne Regeln und ein sehr detailliertes Beschaffungsverfahren einen zusätzlichen Aufwand dar. So müssen in der Stadtverwaltung von Meyrin beispielsweise für alle Beschaffungen in einem Umfang von über 10'000 Franken zwingend drei verschiedene Offerten eingeholt werden. Véronique Diebold konnte auf politische Unterstützung zählen, welche die Arbeit mit den Abteilungen erleichterte. So wurden die Richtlinien für nachhaltige Beschaffung überarbeitet, ausgebaut und 2020 vom Stadtrat verabschiedet. Dabei handelt es sich um sechs Richtlinien, die nicht technisch formuliert sind, sondern konkrete Fragen stellen: Ist die Anschaffung wirklich notwendig oder eher bloss ein Wunsch; respektiert sie die Menschen als Produzent:innen und Nutzer:innen; könnte statt einer Neuanschaffung eine Reparatur, eine Wiederverwendung/Vermietung oder ein Recycling in Frage kommen; trägt die Beschaffung zum Kampf gegen den Klimawandel bei; werden verantwortungsvolle Lieferant:innen bevorzugt; wurden die Vollkosten berücksichtigt? Dieser übergeordnete Rahmen gilt für jede der «prioritären Beschaffungskategorien», die Meyrin definiert hat. Es handelt sich dabei um Verpflegung, Druckdienstleistungen, Arbeitskleidung, Mobiliar, Geschenke und Werbeartikel sowie Bürobedarf.  

Beispiele nachhaltigen Handelns 

Wenn es darum geht, ein Weihnachtsgeschenk für ältere Bürger:innen auszusuchen, fällt die Wahl heute auf ein Lebens- oder Genussmittel aus der Region. Früher war es eher ein Gegenstand wie beispielsweise eine Tasse. Das Standesamt wiederum schenkt den Brautpaaren einen Kugelschreiber einer Schweizer Marke, wobei das Kunststoff-Etui durch ein Modell ersetzt wurde, das von Lernenden in einer Papierwerkstatt hergestellt wird. Der Prototyp aus Pappmaché ist individuell gestaltet und erinnert an die Stadt Meyrin. Diese Idee findet Anklang: Auch die in Leder gebundenen Register werden nun durch das gleiche Material ersetzt. Statt PET-Flaschen gibt es für die Mitarbeitenden der Verwaltung heute eine Trinkflasche aus Glas, und die Pullis und die Arbeitsschürzen sind qualitativ hochwertig. Sie bestehen aus Material aus biologischem Anbau und fairem Handel. Dadurch kosten sie zwar mehr, sind aber nachhaltiger. Dasselbe gilt für die Maschine, die Ozonwasser für die Reinigung herstellt: Sie kostete zwar zunächst mehr in der Anschaffung, hilft jedoch, Reinigungsmittel einzusparen. Das schont das Portemonnaie, die Gesundheit und die Umwelt. Die Vollkosten waren auch ein Kriterium für die waschbaren Becher, die die Einwegbecher ersetzten. Sie sind in der Anschaffung mehr als doppelt so teuer, stossen aber viermal weniger CO2 aus.

«Das eigene Image hat auch seinen Preis»

Véronique Diebold,

«Das eigene Image hat auch seinen Preis», betont Véronique Diebold. Es gibt weitere Beispiele nachhaltiger Beschaffung in Meyrin: Eine Abteilung hat das Mobiliar einer anderen übernommen und so rund 50'000 Franken eingespart. Eine Werkstätte der Abteilung für soziale Entwicklung und Beschäftigung stellt Schreibblöcke aus Papier her, das für den Abfall bestimmt war. Auch für den Wäschereidienst für die neun Schulen, fünf Kindergärten und das Theater wird eine soziale und gemeinnützige zentralisierte Lösung gesucht. Dafür müssen die Abteilungen zwar ihre Arbeitsweise anpassen, sparen damit letztendlich aber Zeit und Geld. 

Gemeinsam zum Ziel 

Diese positiven Erfahrungen, die politische Unterstützung und nicht zuletzt das gewählte Vorgehen bilden in Meyrin den Schlüssel zum Erfolg. Um «an der Basis» eine echte Kultur der verantwortungsbewussten Beschaffung zu entwickeln, braucht es eine Verständigung mit den Mitarbeiter:innen. Véronique Diebold führt zunächst ihre eigene Analyse durch und präsentiert das Ergebnis den Abteilungen zur Diskussion und Abstimmung über die Auswahl der Kriterien. Diese bilden dann die Vorgabe. Sobald die Kriterien in den betroffenen Abteilungen genehmigt sind, werden sie dem Stadtrat zur abschliessenden Validierung vorgelegt. Im Anschluss wird das Ergebnis für die gesamte Verwaltung formalisiert. Um die Abläufe zu vereinfachen, helfen ein Fragenraster den Mitarbeitenden bei der Bedarfsklärung oder der Budgetkontrolle sowie Listen mit Anbietenden und Produkten, die einer nachhaltigen internen Beschaffung entsprechen. Véronique Diebold zieht eine überwiegend positive Bilanz: «Eine Kultur der nachhaltigen Beschaffung aufzubauen und zu verankern, braucht Zeit. Aber etliche Abteilungen sind engagiert und daran interessiert, Lösungen zu finden».  

Tipps für Gemeinden 

Was können andere Gemeinden davon lernen? Es lohnt sich auf jeden Fall, prioritäre Beschaffungskategorien festzulegen, um sich nicht zu verzetteln. In Meyrin wurde dafür eine Reihe von Fragen gestellt: Wie stark schlägt sich der Einkauf im Budget nieder? Wie gross ist seine Wirkung? Ist er einfach und/oder rasch umzusetzen)? Könnte er sich positiv oder negativ auf das Image einer nachhaltigen Stadt auswirken? Könnte er andere zu weiteren Schritten hin zu verantwortungsvollem Handeln motivieren? Für Véronique Diebold war auch die Wirtschaftsstruktur in Meyrin ein Kriterium. «Es lohnt sich auf jeden Fall zu schauen, ob eine Dienstleistung oder ein Produkt vor Ort verfügbar ist.» Ein lokales Produkt, das bei der Anschaffung zwar teurer sei, könne sich insgesamt jedoch trotzdem als preiswerter erweisen, wenn bei der Preiskalkulation auch Nachhaltigkeit und soziale, wirtschaftliche und ökologische Verantwortung berücksichtigt würden.  

Richtlinien für Kantinen

Mehr vegetarische und aus lokaler biologischer Landwirtschaft stammende Produkte: Seit Herbst 2022 gelten diese Grundsätze für die Menüs, die in den Schulen und Kindertagesstätten der Stadt Meyrin serviert werden. Auf der Grundlage der Richtlinien für nachhaltige Beschaffung (vgl. Artikel) wurde für die Gemeinschaftsgastronomie in diesen beiden Bereichen eine Referenz für nachhaltige Ernährung geschaffen. Diese legt unter anderem fest, dass pro Woche zwei vegetarische Menüs serviert werden müssen und dass Rindfleisch und Fisch nur zweimal, Kalbfleisch nur einmal im Monat angeboten wird. Die neuen Kriterien berücksichtigen verstärkt Produkte aus der Region «Genève Région-Terre Avenir» sowie Bio-Produkte, schränken die Verwendung von stark verarbeiteten Lebensmitteln ein und berücksichtigen das Label Fourchette verte, das eine ausgewogene Ernährung in der Gemeinschaftsgastronomie fördert und sich auf die Empfehlungen des Schweizer Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) stützt. «Das Qualitätslabel Fourchette verte verbindet die Elemente Essvergnügen und Gesundheit in Restaurants und Verpflegungsbetrieben. Das Label ist Teil der Gesundheitsförderung und Prävention von Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht und Krebserkrankungen», heisst es auf ihrer Website. In Meyrin wird die Gemeinschaftsgastronomie von der Firma Eldora betrieben. «Sie hat ein offenes Ohr für unsere Anliegen», versichert Véronique Diebold.   

Unterstützung bei der Beschaffung

Die Wissensplattform nachhaltige öffentliche Beschaffung (WöB) stellt Informationen und Instrumente zur Verfügung, die von Beschaffungsstellen und Fachpersonen aller föderalen Ebenen bereitgestellt und genutzt werden. Dazu gehört die Toolbox Nachhaltige Beschaffung Schweiz, die aus den folgenden vier Teilen Besteht: Kontext, rechtlicher Rahmen und Methodik (Teil A), Werkzeuge und Methoden zur Bewertung der Auswirkungen von Lieferanten und Produkten (Teil B), Produktgruppen-Merkblätter (Teil C) und Praxisbeispiele (Teil D).  

Titelbild: Commune de Meyrin


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