Schule
Biodiversität
Praxisbeispiel

Biodiversität erlebbar machen – eine Schule zeigt wie

Lara Läubli
Viele Kinder basteln in Deitingen ein Bienenhaus.

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6 Minuten Lesezeit

Biodiversität

Praxisbeispiel

Schulen sind für Gemeinden interessante Partner, wenn es um die Förderung von Biodiversität geht. Das Beispiel Deitingen (SO) zeigt, dass durch Kooperation Erstaunliches möglich ist. 

Eine fast drei Meter grosse Sonnenblume ragt majestätisch aus einem der sechs Hochbeete auf dem Schulhausareal der Schule Zweien in Deitingen. Die Blätter sind längst abgefallen, der Stiel dürr. Dennoch hat sie niemand geschnitten oder gar ausgerissen. «Über den Winter bieten die Samen den Vögeln Nahrung und die Stängel den Insekten einen Unterschlupf», erklärt Daniela Moser, Primarlehrerin an der Schule Deitingen im Kanton Solothurn. Auch die Familien der Schulkinder haben eine solche Sonnenblume zu Hause. Was sie verbindet, ist ein Projekt zum Thema Biodiversität, welches die Schule mit Unterstützung der Gemeinde umgesetzt hat.  

Artenvielfalt an der Schule verankern  

Die Thematik der Biodiversität ist aktueller denn je: Seit Jahrzehnten nimmt die Biodiversität in der Schweiz ab. Mittlerweile sind gemäss Bundesamt für Umwelt die Hälfte der Lebensräume und ein Drittel der Arten bedroht. Ein Hauptgrund ist der Verlust von Lebensräumen durch die Zersiedelung und durch veränderte Nutzung. Das bleibt auch für den Menschen nicht ohne Folgen, denn intakte Ökosysteme übernehmen wichtige Funktionen wie die Bestäubung von Kulturpflanzen, Stabilisierung von Böden, die Reinigung von Luft, Boden und Wasser und nicht zuletzt ist auch der Erholungsaspekt einer intakten Landschaft für uns Menschen nicht zu unterschätzen. Schulen können mit der Umgestaltung ihres Aussenraums neue Lebensräume schaffen und Biodiversität praktisch erlebbar machen.  

Das war auch der Grund, weshalb sich das Lehrpersonenteam aus Deitingen im Jahr 2019 entschieden hat, das Thema Biodiversität fest in der Schule zu verankern und biodiversitätsfördernde Massnahmen rund ums Schulhaus umzusetzen. «Wir wollten etwas machen, das eine Relevanz hat und nachhaltig bleibt», blickt Moser zurück. Ein gemeinsamer Teamevent bildete den Startschuss für das Vorhaben. Ein absolutes Muss sei, dass alle Beteiligten, von der Schulleitung über die Lehrpersonen bis zum Hauswart am selben Strick ziehen, sagt die Primarlehrerin. Das sei von Anfang an der Fall gewesen, wodurch es kaum Hürden bezüglich Meinungsverschieden-
heiten gegeben habe. Blumenwiese, Hochbeete, Nisthilfen, Ast- und Steinhaufen, Trockenbiotop, Lebensräume an Gewässern – Ideen waren schnell in Hülle und Fülle vorhanden. Doch bald war auch klar, dass die Schule alleine ein solches Projekt kaum stemmen kann. Zu gross ist der finanzielle und personelle Aufwand für eine Schule.    

Grosse Resonanz in der Gemeinde  

Deshalb trommelte die Schule möglichst viele Helfende zusammen: Ein Naturgärtner, Schreiner, Wildhüter sowie Biberfachmann aus der Umgebung stehen der Schule mit Rat und Tat zur Seite und die Bürgergemeinde Deitingen, welche eine Kiesgrube betreibt, spendet Kies. Trotz diesem grossen Goodwill ist die Schule auf weitere finanzielle Ressourcen angewiesen, wo einerseits die Einwohnergemeinde Deitingen und andererseits externe Partner wie Pusch, éducation21 und xhocherz Hand bieten. Das Projekt kann so Fahrt aufnehmen.  

«Wir wollten etwas machen, das eine Relevanz hat und nachhaltig bleibt.»

Daniela Moser, Primarschullehrerin, Deitingen 

Ein Meilenstein ist die Projektwoche im Frühling 2021. In zwölf verschiedenen Ateliers widmen sich die rund 170 Schulkinder Themen rund um die Biodiversität. Insektenhotel bauen, Asthaufen anlegen, Hecken untersuchen, Lebensräume auf dem Schulhausareal erkunden, Samenkugeln herstellen, Hochbeete bauen, mit Wildkräutern kochen – die Kinder lernen für einmal nicht aus dem Lehrbuch am Pult, sondern sehen, spüren, riechen oder schmecken draussen, was Natur konkret bedeutet. Viele Kinder schätzen diese andere Art von Lernen als willkommene Abwechslung zum sonst eher kopflastigen Schulunterricht. Insbesondere das Handwerkliche hat es vielen Kindern angetan, auch wenn es manchmal körperlich anstrengend ist.   

Die besten Zucchetti wachsen in der Schule  

Das bestätigen auch die Eltern der Kinder. «Wir haben sehr viele positive Rückmeldungen der Eltern erhalten», sagt Moser. Die Kinder hätten das Wissen nach Hause getragen, erzählen auf dem Spaziergang, welche Tiere und Pflanzen in den Wiesen leben und wieso diese wichtig sind. Vieles, was die Kinder in der Woche kreiert hätten, sei auch zu Hause in Gebrauch. Eine Familie hätte zudem eigene Asthaufen angelegt, eine andere plant eine eigene Trockensteinmauer und auch die Ohrwurmhotels sind rege in Gebrauch. Und eben die Sonnenblumen. Den Samen haben die Kinder in der Projektwoche gesät und die Pflanze nach Hause genommen, wo sie ihre Wirkung entfaltet.  

Ein Hochbeet steht vor einer Schule.

Bereit zum Ansäen: Jede Klasse bepflanzt und pflegt ihr eigenes Hochbeet. Bild: Pusch

Die Freude an der geschaffenen Naturoase ist gross, sogar über Generationen hinaus. «Die Grossmutter eines Kindes hat uns Erdbeerpflanzen, welche besonders viele Früchte hätten, für unseren Schulgarten geschenkt», erzählt Moser. Aber am grössten ist die Freude wohl bei den Kleinsten: «Eine Mutter berichtete uns, dass die Zucchetti aus dem Schulgarten für ihr Kind die Besten weit und breit gewesen seien; sogar besser als die Zucchetti aus dem eigenen Garten», erzählt Moser.  

Ein fester Bestandteil des Schulgeschehens  

Das Biodiversitätsprojekt wirkt sich auch Monate später auf den Schulalltag aus. «Die Klassen betreuen ihre Hochbeete selber und überlegen sich, was sie anpflanzen möchten», sagt Moser. Rund um die Hochbeete wurde extra ein Kiesboden angelegt, damit die Lehrpersonen auch spontan ohne spezielle Kleidung der Kinder draussen unterrichten können. So pflegen die Klassen auch wirklich regelmässig ihre Beete selbst. Um das Fachwissen laufend zu erweitern, nehmen einige Lehrpersonen regelmässig an externen Weiterbildungen teil und tragen das Gelernte ins Kollegium zurück. Eine Pinnwand im Teamzimmer hält Tipps und Tricks rund um die Biodiversität fest. Und auch mit der Gemeinde läuft die Zusammenarbeit weiter: Sie übernimmt die Pflege der Blumenwiese und wird so immer wieder mit der Schule in Kontakt stehen.  

Im Moment ist Winterruhe in der Naturoase. Doch im Innern des Schulhauses ist es alles andere als ruhig, denn die Lehrpersonen planen bereits den Frühling und spinnen neue Ideen. «Ich träume von einem kleinen Kartoffelacker, den jeweils zwei Klassen gemeinsam bewirtschaften könnten», verrät Daniela Moser. Auch ein Kompost fehle noch, womit die Schule Erde herstellen könnte. «Schön wäre auch, wenn die Kinder eigene kleine Pflanzgefässe hätten und so selbst etwas ziehen könnten», sagt Moser. Auch nächstes Jahr werden also in Deitingen wahrscheinlich wieder einige Samen gesät werden.  

Die Projektwoche wurde im Mai 2021 durchgeführt. 


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