Gemeinde
Biodiversität
Praxisbeispiel

Gemeinsam für mehr Artenvielfalt

Nadine Siegle
Eine Veranstaltung zu den Blumenwiesen in Wolfwil.

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5 Minuten Lesezeit

Biodiversität

Praxisbeispiel

Die Gemeinde Wolfwil wünscht sich mehr Blumenwiesen im Dorf. Auf ihrer Reise zu mehr Biodiversität nimmt sie auch die Bevölkerung mit. Los geht es mit einer Infoveranstaltung.

«Förderung der Biodiversität – Blumenwiesen in Wolfwil», das verspricht ein Flyer an der Glastür des Riegelhauses. Im Briefkopf: der Wächter der Nacht, der rote Wolf im rot-weissen Gemeindewappen. Freundlich lächelnd begrüsst uns Gemeinderätin Christine Niggli und schliesst die schwere Tür zur Gemeindeverwaltung auf.

Die Gemeinde hat zur Infoveranstaltung über Blumenwiesen eingeladen. In der Bibliothek im ersten Stock warten 70 glänzende Holzstühle und ein paar Bücherregale an der Wand auf die Gartenbesitzer:innen des Dorfes. «Wir wollen in Woufu Biodiversitäts-Inseln schaffen. Das können wir aber nicht allein», erklärt Niggli. Deshalb nehmen sie und ihr Kollege Stefan Jenny, Präsident der Umweltschutzkommission, die Wolfwiler:innen mit auf ihre Blumenwiesen-Reise. 

Der Traum vom blumigen Wolfwil

Die Gemeinde Wolfwil mit knapp 2400 Einwohner:innen hat sich entschieden, ihre Grünflächen mit Blumenwiesen naturnaher zu gestalten. Ein Antrag aus der Bevölkerung und das Biodiversitätskonzept, das die Umweltschutzkommission gleichzeitig erarbeitet hatte, haben den Stein ins Rollen gebracht. Das Biodiversitätsleitbild, das nun gestützt darauf entstanden ist, bildet das Dach für alle Biodiversitätsprojekte in Wolfwil. Zusammen mit vier weiteren Solothurner Gemeinden nimmt Wolfwil an der Pilotphase des Pusch-Projekts «Blühende Nachbarschaft» teil – und nimmt die Bevölkerung mit auf diesen Weg. Besonders schön: Die Wirkung des Informationsabends dauert an. Eine von der Gemeinde initiierte WhatsApp-Gruppe hält die Blumenwiesen-Interessierten auch weiterhin als Team zusammen und ermöglicht den Erfahrungsaustausch und das Teilen von Erfolgen. Der rege Austausch zeigt: Die Wolfwiler:innen bleiben dran.

E suuberi Sach  

«Worum geht es hier genau? Biodingsbumsda?» Thomas Lüthi erntet die ersten Lacher. Der gross gewachsene Gartenbauer im dunkelblauen Poloshirt ist in seinem Element. Ausgerüstet mit einer farbenfrohen Powerpoint-Präsentation taucht er ein in die Welt der Wildbienen und Blumen. «E suuberi Sach. Das ist typisch für Schweizer Gärten.» Lüthi lässt ein Bild eines herausgeputzten Einfamilienhausgartens über die Leinwand flackern. Saftig grüner Rasen, jedes Gräsli in exakt gleicher Höhe, kugelrunde Buchsbäume und ein orange-roter japanischer Ahorn. E suuberi Sach – aber für Wildbienen und Co. eine karge Wüste. «Da hilft es auch nicht viel, wenn noch ein liebevoll selbst gezimmertes Wildbienenhotel an der Hausmauer hängt», ergänzt Lüthi seufzend. «Ich gehe ja auch gerne mal in ein Hotel, aber dort gibt es etwas zu essen. Ohne Futter ist euer Nistplatz-Hüttli nicht mal ein Garni-Hotel!» Das Publikum lacht. Doch Lüthi ist es ernst.

Adieu Rasen, hallo Bienen  

Blumenwiesen sind wahre Oasen für Wildbienen und andere Insekten. Rasenroboter gehören da nicht hin. Im Garten soll es summen, nicht brummen. Das heisst: Schluss mit der millimetergenauen Rasenpflege – mag sie noch so schweizerisch sein. «Dä Rasä muss furt. Wir brauchen zuerst eine vegetationsfreie Fläche», betont Lüthi. Die Anwesenden schielen vorsichtig nach links und rechts. 

«Sieht katastrophal aus!»  

Die Vorbereitungen für eine Blumenwiese beginnen idealerweise im März oder April. Da gilt es: Rasen abtragen und warten. Blumenwiesen hätten sowieso viel mit Warten zu tun, erklärt Lüthi. «Das isch ganz gäbig.» Nach einem Monat kann das einheimische Saatgut ausgesät werden. «Mit der Schaufel oder den Füssen drückt ihr die Samen fest.» Und dann heisst es: wieder warten. Nur zweimal mähen sei erlaubt, einmal im Juni – auf der höchstmöglichen Stufe – und noch einmal im Herbst, betont Lüthi. Was einfach tönt, kommt aber mit einer kleinen Vorwarnung: «Im ersten Jahr sieht es katastrophal aus, dessen muss man sich bewusst sein.» Regelmässig würden Lüthis Kunden ihm nach ein paar Monaten durch die Telefonleitung an den Kopf werfen, wie furchtbar die Blumenwiese aussehe. «Tiptop. Dann haben wir alles richtig gemacht», antwortet der Gartenbauer dann entspannt. Weiter gilt: warten. «Aber Geduld ist nicht allen gleichermassen gegeben. Heute finden wir ja schon eine dreitägige Lieferfrist in einem Onlineshop unerträglich.» Bei Blumenwiesen gebe es nun mal keine «same day delivery». 

Belastungsprobe für die Ehe Gemurmel im Publikum, vereinzelt machen sich Anwesende mit Handzeichen bemerkbar. «Auf unserer Blumenwiese wächst seit Jahren immer noch keine Blume», erklärt ein Zuschauer in grauem Fleece-Pulli mit einer Prise Frustration in der Stimme. Eine Ferndiagnose sei schwierig, bedauert Lüthi. «Es gibt aber auch viele wertvolle Arten, die für das Auge nicht so spannend sind. Auch unter den Pflanzen gibt es coolere und weniger beliebte, wie bei uns Menschen», ergänzt er mit einem Augenzwinkern.

In der dritten Reihe schnellt ein knallgelber Strickpulli-Ärmel in die Höhe. «Ich habe dieses Saatgut letztes Jahr gesät, aber jetzt wächst da flächendeckend nur Hirse.» Eine ältere Frau schwenkt energisch ein Samentütchen durch die Luft. Fast eine Ehekrise hätte es gegeben, weil ihr Mann äbe e suuberi Sach mag, sie aber lieber eine Blumenwiese ansäen wollte – und jetzt erst noch ohne Erfolg. Wann sie denn angesägt habe? Im Herbst. Voilà. Ausnahmsweise ist die Ferndiagnose schnell gestellt.

Die Gemeinde als Vorbild

Blumenwiesen sollen aber nicht nur in Privatgärten entstehen, auch die öffentlichen Flächen in Wolfwil werden in Kürze bunter. Im Anschluss an Lüthis Referat präsentiert deshalb Stefan Jenny, Präsident der Umweltschutzkommission, den knapp 70 Teilnehmenden die geplanten Biodiversitätsprojekte in Wolfwil. Gemeinderätin Niggli ergänzt lachend: «Wir können nicht verlangen, dass die Woufeler ihre Gärten naturnah gestalten, aber selber haben wir neun Tonnen Stein vor der Hütte.»

Der Artikel ist im «Thema Umwelt» 2/2022 erschienen.


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