Gemeinde
Biodiversität
Praxisbeispiel

Wie sich die Natur die Worble zurückerobert hat

Pascal Blarer
Eine Revitalisierungssituation an der Worble.

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5 Minuten Lesezeit

Biodiversität

Praxisbeispiel

Die Revitalisierung von Fliessgewässern ist wichtig für den Hochwasserschutz, die Biodiversität und das Landschaftsbild. Um diese Gewässerfunktionen langfristig zu erhalten, braucht es vor allem eine umsichtige Pflege, wie das Beispiel der Worble im Kanton Bern zeigt. 

Heftige Gewitter und sintflutartige Niederschläge haben in der Berner Gemeinde Worb vor allem in den Jahren 2006 und 2007 wiederholt zu schweren Überschwemmungen geführt. Heute ist die Gefahr weitgehend gebannt. Denn parallel zum Bau von zwei Rückhaltebecken haben die Behörden 2016 die Worble auf einer Länge von rund vier Kilometern aus ihrem viel zu engen Betonkorsett befreit und an den Dorfrand verlegt. 

Mit dem Bau des neuen Bachbetts und der Erstbepflanzung waren die Arbeiten aber nicht zu Ende. «Eigentlich fingen sie erst jetzt so richtig an», erklärt Werkhofmitarbeiter Mike Wittwer. Er ist mit seinem Team für die Pflege und den Unterhalt des revitalisierten Gewässers zuständig. Mit regelmässigen Einsätzen, verteilt über das ganze Jahr, sorgt das Gewässerpflegeteam dafür, dass sich die Natur die Worble zurückerobern und der Bach das Wasser und Geschiebe sicher ableiten kann. Die einzelnen Arbeitsschritte erfolgen nach einem detaillierten Pflegeplan, der auf viel Engagement, Experimentierfreude, genauer Beobachtung und grosser Sachkenntnis beruht. 

Gestartet wird im Frühling mit der Bekämpfung von Neophyten. In den ersten Jahren benötigte das Ausgraben und Mähen dieser standortfremden Problempflanzen gemäss Wittwer viel Zeit. «Doch mittlerweile genügen wöchentliche Durchgänge im April und regelmässige Nachkontrollen über die Sommermonate.» 

Mosaikartige Strukturierung der Lebensräume 

Ab Mitte Juni folgt dann das abschnittweise Mähen der Wiesen im Uferbereich. Damit das Schnittgut der artenreichen Magerwiesen versamen kann, bleibt es einige Tage liegen oder wird auf eine andere Wiesenfläche verteilt, um dort die Artenvielfalt zu erhöhen. Dabei mähen Mike Wittwer und seine Leute auf beiden Uferseiten immer nur einzelne Abschnitte, um eine mosaikartige Strukturierung zu erreichen.

Eine Revitalisierungssituation an der Worble.

Pflegearbeiten werden unter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse seltener Arten und möglichst von Hand ausgeführt. Bild: Silvia Berger

Dieses Prinzip verfolgen sie bei allen Pflege- und Aufwertungsmassnahmen, so auch beim Zurückschneiden von Gehölzen, Hochstauden oder Röhricht. Die Restbestände belassen sie als Unterschlupf- oder Überwinterungsstandorte für Vögel, Insekten und Kleintiere. Ein solch standortgerechter Uferbewuchs bietet die nötige Beschattung der Bachsohle, stabilisiert die Böschungen, sorgt für einen sanften Übergang zwischen Wasser und Land und vernetzt die Lebensräume. Die Zusammenarbeit und der Wissensaustausch mit den Landwirten, welche einen Teil der Pflegearbeiten im Gewässerraum umsetzen, ist sehr wichtig. So können sie die Wiesen und Hecken als Biodiversitätsförderflächen anmelden, für die der Bund Qualitätsbeiträge ausrichtet, und sie werden im Gegenzug für die Ziele der Gemeinde sensibilisiert. 

Kleinstrukturen zur Förderung der Fauna 

Junge Ufergehölze werden in den ersten zwei bis drei Jahren freigeschnitten, damit sie sich gut entwickeln können. Wird der Bewuchs zu dicht, lichtet ihn das Gewässerpflegeteam aus oder schneidet ihn punktuell ganz zurück, um den Lebensraum von Libellen aufzuwerten. Mit Asthaufen und besonnten Steinhaufen werden weitere Kleinstrukturen zur Förderung der Fauna geschaffen. 

Bäume und Wildhecken werden jährlich kontrolliert. Alle zwei Jahre wird in den Wintermonaten rund ein Drittel der schnell wachsenden Gehölze für die Verjüngung auf den Stock geschnitten und rund ein Drittel der langsam wachsenden Sträucher ausgelichtet. «Gehölze wie Kreuzdorn, Pfaffenhütchen oder Schneeball, die erst nach rund drei Jahren Früchte tragen, schneiden wir im Rhythmus von vier bis fünf Jahren», erklärt Wittwer «Denn die Beeren sind eine willkommene Nahrungsquelle für zahlreiche Vogelarten.» 

Schnittgut von Bäumen und Sträuchern verarbeiten Mike Wittwer und sein Team zu Bündeln, sogenannten Faschinen, die sie für die Sicherung von abgerutschten Uferstellen oder unterspülten Engstellen einsetzen. Arbeiten an der Gewässersohle erfolgen jeweils zu Beginn des Herbstes. Dabei werden in Rücksprache mit dem kantonalen Fischerei-Inspektorat Verlandungen und der übermässige Bachkresse-Bewuchs entfernt, um die Abflusskapazität zu erhöhen. Zudem wird wo nötig die Niedrigwasserrinne geöffnet. 

Weniger ist oft mehr 

Bei allen Arbeiten beachten Wittwer und sein Team Schonzeiten und die besonderen Bedürfnisse seltener Arten wie Frösche, Eidechsen, Fische oder Libellen. So verzichten sie während der Laichzeit von Fischen auf Eingriffe in die Gewässersohle und während der Brutzeit der Vögel auf das Zurückschneiden von Bäumen und Gehölzen. Zudem werden die Arbeiten wenn immer möglich mit Schere, Sense, Pickel und Plackeneisen von Hand ausgeführt. «Wenn man früh genug dran ist, lässt sich damit fast alles machen», weiss Wittwer. Und nicht selten lassen sie die Natur einfach gewähren. Denn Totholz, Abbruchufer, unterspülte Wurzelstöcke oder Brennesselnester sind wertvolle Biotope für Flora und Fauna. 

Sichtbare Erfolge 

«Nach vier Jahren Erfahrung können wir sagen, wir haben die gesteckten Ziele erreicht», stellt Mike Wittwer fest. «Die vielseitigen Arbeiten draussen in der Natur und das Miterleben, wie sich die Tier- und Pflanzenwelt weiterentwickelt, machen viel Freude.» Eine standortgerechte Pflanzen- und Tierwelt hat sich etabliert. Selbst den gefährdeten Neuntöter, den Vogel des Jahres 2020, konnte Wittwer beobachten. Die Entwicklung von Flora und Fauna freut auch die Bevölkerung, wie viele Rückmeldungen von Passantinnen und Spaziergängern belegen. Für sie schneidet das Gewässerpflegeteam regelmässig Sichtfenster frei, damit sie an dafür geeigneten Stellen freien Blick und Zugang zum lebendigen Gewässer erhalten. 

Zertifikatslehrgänge von Pusch 

Pusch führt regelmässig Zertifikatslehrgänge zur Gewässerpflege und zur Revitalisierung von Fliessgewässern durch. Mehr Informationen dazu finden Sie auf der Pusch-Umweltagenda.  

Der Artikel ist im «Thema Umwelt» 1/2020 erschienen.
Titelbild: Silvia Berger


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