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Praxisbeispiel

Beschaffung: Verkehrsbetriebe Bern kaufen nachhaltige Arbeitskleider ein

Maria-Luisa Kargl
Zwei Busse stehen in einer Strasse in der Altstadt von Bern auf der linken und rechten Strassenseite.

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5 Minuten Lesezeit

Beschaffung

Praxisbeispiel

Das Personal der städtischen Verkehrsbetriebe Bern arbeitet seit 2018 in nachhaltigen Hosen, Jacken und Accessoires. Das Beispiel zeigt, dass es auch in der problembehafteten Textilindustrie möglich ist, eine sozial- und umweltverträgliche Kollektion zu entwickeln. Ein Blick in die Praxis.

Die Dienstkleider der BERNMOBIL-Mitarbeitenden müssen hohe Anforderungen erfüllen. Die Hemden, Blusen, Hosen, Kleider, Jacken, Gilets, Hüte, Taschen und Foulards müssen so kombinierbar sein, dass sie sowohl im Sommer als auch im Winter getragen werden können. «Dienstkleider sind für einen Verkehrsbetrieb wie Bernmobil eine wichtige Visitenkarte», so Jürg Schmid, Leiter Logistik der städtischen Verkehrsbetriebe Bern (SVB).  

Als im Jahr 2018 die damals 700 Mitarbeitenden mit neuer Dienstkleidung und Accessoires ausgestattet wurden, stand eine Kombination aus zeitgemässem, schlichtem Design, hoher Praxistauglichkeit und Tragekomfort sowie die soziale und ökologische Nachhaltigkeit der Textilien im Fokus. Jürg Schmid begleitete die Ausschreibung juristisch und kaufmännisch in der Funktion als strategischer Einkäufer.

Städtische Verkehrsbetriebe Bern

Die städtischen Verkehrsbetriebe Bern (SVB) sind eine selbstständige, autonome öffentlich-rechtliche Organisation der Stadt Bern. Den Berner:innen sind die SVB auch unter der Marke BERNMOBIL bekannt. Mit insgesamt 57 roten Trams und 160 Bussen befördern über 1100 Mitarbeitende jährlich rund 100 Millionen Fahrgäste von A nach B (Stand 2023).

Unterstützung beim Design 

Insgesamt zwei Jahre brauchte es von der ersten Idee bis zur Erstausstattung des Personals mit der nachhaltigen Dienstkleidung. Aufgrund der diversen Herausforderungen hat sich das Beschaffungsteam um Jürg Schmid externe Unterstützung gesucht. In Fragen bezüglich des Designs und der technischen Anforderungen wurde auf die Expertise einer Design-Agentur und von Textilspezialist:innen zurückgegriffen.  

Die Mitarbeitenden sollen sich in allen Situationen des Arbeits-Alltags in der neuen Kleidung wohlfühlen. So wurde Mass am Personal genommen, der Tragekomfort getestet und die Rückmeldungen in die endgültigen Schnitte integriert.

Welche Labels und Standards?

Neben dem individuellen, zeitlosen Design und der Alltagstauglichkeit der Kollektion war die Einhaltung der sozialen und ökologischen Kriterien der wichtigste Aspekt des Projektes. Eine grosse Herausforderung hierbei war vor allem, verlässliche Nachweise für die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) und für die Umweltverträglichkeit der Produkte zu finden. Vor der eigentlichen Ausschreibung wurde deshalb viel Zeit in Marktrecherchen investiert. 

Problematische Textilindustrie

Eine grosse Herausforderung bei der Beschaffung von Kleidung sind die Zustände in der Textilindustrie. Sie ist geprägt durch soziale und ökologische Missstände entlang der Wertschöpfungskette. Kinderarbeit, unzureichende Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und die Gefährdung der Umwelt durch den Einsatz von Chemikalien, erhebliche CO₂-Emissionen und den hohen Wasserverbrauch sind drängende Probleme. Die komplexen, globalen und intransparenten Wertschöpfungsketten erschweren zudem, den Weg der Textilien nachzuverfolgen.

Der erste Schritt umfasste eine Analyse, welche Labels, Standards und Initiativen als Nachweise in Frage kommen. Auf Basis dieser Auswahl an geeigneten Zertifizierungssystemen stellte sich die zweite Frage: Gibt es genügend Anbietende mit diesen Labels auf dem Schweizer und internationalen Markt?  

Als Nachweis für die Sozialverträglichkeit beziehungsweise Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen kristallisierte sich eine Mitgliedschaft in der Fair Wear Foundation (FWF) als beste Lösung heraus. Die Initiative stellt strenge Anforderungen an seine Mitglieder. Zudem werden die Kriterien jährlich überprüft. Deshalb wurde neben einer Selbstdeklaration die Mitgliedschaft in der FWF als Eignungskriterium in der Ausschreibung verankert. Das ermöglicht es dem Team von Jürg Schmid zu kontrollieren, ob der ausgewählte Partner die Anforderungen stets erfüllt.  

Die Mitgliedschaft in einer spezifischen Initiative als Eignungskriterium zu fordern, war in der öffentlichen Ausschreibung ein Novum für BERNMOBIL. Bedenken oder Beschwerden von Jurist:innen oder Anbietenden zu diesem Vorgehen gab es jedoch keine.  

Schweizer Firma holt sich den Zuschlag 

Auch in Bezug auf die anderen Nachhaltigkeitsaspekte ist der Weg über Labels zu empfehlen. Allerdings decken nicht alle Labels sämtliche Stufen und Herausforderungen in der Lieferkette ab, die in der Textilindustrie auftreten. 

Insgesamt gingen drei Angebote auf die Ausschreibung ein. Den Zuschlag bekam ein Unternehmen aus der Schweiz – nur dieses konnte alle Anforderungen vollumfänglich erfüllen.

Mut zur Innovation 

Die nachhaltige Beschaffung von Dienstkleidung für die Mitarbeitenden von BERNMOBIL zeigt, dass es sich lohnt, mutig zu sein, auch neue Wege zu gehen und Ausschreibungen ambitiös und innovativ zu gestalten. 

Seit dem Beschaffungsvorhaben im Jahr 2018 hat sich einiges getan. Die Anforderungen – insbesondere die Einhaltung der ILO-Normen – sind mittlerweile Grundvoraussetzung bei Beschaffungen im Kanton Bern. Bereits werden mit dem aktuellen Vertragspartner weitere Verbesserungen in Richtung Nachhaltigkeit erörtert.

Vertiefung

In der Toolbox Nachhaltige Beschaffung Schweiz steht das Praxisbeispiel zum Download zur Verfügung. Darin werden die Herausforderungen des Beschaffungsvorhabens von BERNMOBIL und die dabei gewonnenen Erkenntnisse vertieft erläutert.

Weitere Empfehlungen, Kriterien für eine nachhaltige Beschaffung von Textilien sowie einen Überblick über die ökologischen, sozialen und gesundheitlichen Aspekte dieser Produktkategorie finden sich ebenfalls in der Toolbox auf der Wissensplattform nachhaltige öffentliche Beschaffung (WöB). 


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