Gemeinde
Beschaffung
Praxisbeispiel

«Mit Beschaffungsrichtlinien lässt sich mit wenig Aufwand viel bewirken»

Nadine Siegle
Reto Loosli
Eine Hand hält ein Merkblatt zur nachhaltigen Beschaffung

·

7 Minuten Lesezeit

Beschaffung

Praxisbeispiel

Die Stadt Illnau-Effretikon (ZH) mit knapp 17‘800 Einwohner:innen setzt auf den nachhaltigen Einkauf. Seit 2021 hat sie eine Beschaffungsrichtlinie. Wie es gelingt, das Thema bei allen Einkaufenden präsent zu halten und in welchen Produktgruppen die Stadt besonders gut unterwegs ist, verrät Reto Loosli, Leiter Umwelt in Illnau-Effretikon, im Interview.

Seit Anfang 2021 gilt in Illnau-Effretikon eine Beschaffungsrichtlinie, um den nachhaltigen Einkauf zu fördern. Wie hat sich die Richtlinie etabliert?

Reto Loosli: Ich spüre im Gespräch mit den Mitarbeitenden, dass sich die Richtlinie gut etabliert hat und die Akzeptanz für das Thema nachhaltige Beschaffung vorhanden ist (siehe auch Artikel «Illnau-Effretikon: Pragmatisch zur nachhaltigen Beschaffung»). Sie wird noch nicht überall gleich konsequent umgesetzt, das ist klar, aber die Einkaufenden befassen sich damit. Das merkt man auch anhand der Rückfragen. Wir führen aber kein systematisches Controlling dazu. 

Wie stellen Sie ohne Controlling sicher, dass die Richtlinie nicht zum Papiertiger wird?

Wir mussten uns immer wieder die Frage stellen, wie wir das Thema am Leben erhalten. Wie schaffen wir es, dass die Richtlinie nicht vergessen geht? Wir haben uns für eine jährliche Veranstaltung für die Beschaffenden entschieden. Vor allem Mitarbeitende aus den beschaffungsintensiven Abteilungen Hoch- und Tiefbau nehmen daran teil, aber auch Schlüsselpersonen aus anderen Bereichen. Es handelt sich um ein einstündiges Treffen mit wechselndem Schwerpunktthema. Im ersten Jahr haben wir den Anlass zum Beispiel der Suffizienz gewidmet. Es ging darum aufzuzeigen, was Suffizienz bedeutet, was ihre Rolle in der Beschaffung ist und was sich Beschaffende vor dem Einkauf überlegen sollten.

Reto Loosli, Illnau-Effretikon

«Die Stadt kann als Beschafferin und Auftraggeberin eine Vorbildfunktion einnehmen.»

Reto Loosli, Leiter Umwelt, Illnau-Effretikon

Wie ist das bei den Beteiligten angekommen?

Ein Programmpunkt des Anlasses war ein Kurzworkshop mit einem Brainstorming. Die Anwesenden brachten viele spannende Ideen ein. Das zeigt, dass das Verständnis und auch die Ideen grundsätzlich da sind. Man muss lediglich aufzeigen können, was ein Thema für die Verwaltung bedeutet. Wichtig ist bei diesen Veranstaltungen aber vor allem, dass es neben Informationen zum Thema auch eine Fragerunde gibt und die Anwesenden ihre Erfahrungen austauschen können.

Wie gut werden diese jährlichen Treffen besucht?

Anfangs war die Beteiligung hoch und auch die eine oder andere kritische Frage konnte aufgefangen und beantwortet werden. Mit der Zeit hat die Zahl der Teilnehmenden aber abgenommen. Wir überlegen derzeit, ob wir den Besuch des Austausches künftig für alle Einkaufenden als obligatorisch festlegen sollten. Es reicht leider nicht, sich einmalig mit der nachhaltigen Beschaffung auseinanderzusetzen, auch wenn das vermutlich einige denken. Nichtsdestotrotz spüren wir die Akzeptanz für das Thema.

Was hat in den letzten Jahren bei der Beschaffung mit Blick auf Nachhaltigkeit gut funktioniert?

Bei der Produktegruppe der Reinigungsmittel läuft es super. Dies ist besonders wichtig, angesichts unseres hohen Verbrauchs an Reinigungsmitteln. Auch bei den Papierprodukten lief die Umstellung auf nachhaltigere Produkte gut. Bei den grösseren Anschaffungen sind vor allem die Fahrzeuge ein gutes Beispiel: Wir beschaffen nach Möglichkeit Elektrofahrzeuge, was sehr gut funktioniert. Es gibt nur wenige Ausnahmen, bei denen es technisch nicht möglich ist oder die E-Autos die nötigen Spezifikationen nicht erfüllen.

Eine Hand zieht mit einem Fensterwischer ein Fenster ab, das mit Reinigungsmittel eingeseift wurde.

Nach der Einführung der Beschaffungsrichtlinie hat Illnau-Effretikon die Produktlinie der Reinigungsmittel gewechselt.

Haben die Beschaffenden Mehraufwand aufgrund der Richtlinie?

Das kommt ganz auf die Produktgruppe an. Bei gewissen Produkten, wie zum Beispiel bei den Reinigungsmitteln oder beim Papier, war der Aufwand einmalig, um eine neue Produktlinie zu finden. Da erforderte es nur einen gewissen Initialaufwand und jetzt läuft das.

Im neusten Gemeinderating von Solidar Suisse (siehe Box) hat Illnau-Effretikon sehr gut abgeschnitten: Sie sind auf dem 3. Platz gelandet. Bei der Beschaffung haben Sie sogar die Maximalpunktzahl erhalten. Die Bemühungen in der nachhaltigen Beschaffung scheinen sich auszuzahlen.

Dazu muss man sagen, dass wir in den übrigen Kategorien schon in früheren Ratings gute Plätze belegt hatten. Lediglich in der Beschaffung waren wir in der Vergangenheit noch nicht so weit oben, weil wir keine schriftliche Beschaffungsrichtlinie hatten. Der 3. Platz freut uns natürlich. Entscheidend ist aber, dass wir nun eine Richtlinie haben und sie auch umsetzen, so gut es geht. Das Schöne daran ist vor allem, dass wir zeigen konnten, dass man mit nicht allzu viel Aufwand viel erreichen kann. Aber Luft nach oben gibt es immer.

In welchen Bereichen zum Beispiel?

Persönlich fände ich es wichtig, bei den Lebensmitteln noch genauer hinzuschauen. Ich habe beispielsweise angeregt, bei einem städtischen Anlass das Essen von der «Äss-Bar» zu bestellen. Und was ich dieses Jahr angehen möchte, ist das Werkzeug-Pooling. Anstatt etwas Neues zu kaufen, sollen unsere Mitarbeitenden zuerst in einer Liste nachschauen können, was schon vorhanden ist. Insgesamt soll das Thema Suffizienz einen noch höheren Stellenwert einnehmen.

Gemeinderating von Solidar Suisse

Seit 2011 untersucht Solidar Suisse in regelmässigen Abständen im sogenannten Gemeinderating, ob und wie Schweizer Gemeinden beim Einkauf ihre globale Verantwortung wahrnehmen. Damit möchte die Organisation Gemeinden sensibilisieren und dazu motivieren, ihre Beschaffungspraxis zu verbessern. Bei der neusten Bewertung im Jahr 2023 wurden erstmals auch ökologische Kriterien berücksichtigt. 

Eine weitere Gemeinde, die im Gemeinderating in der Kategorie der nachhaltigen Beschaffung mit der Maximalpunktzahl abgeschlossen hat, ist die Gemeinde Worb (BE): «Nur wenn wir nachhaltig beschaffen, kann unsere Welt auf Dauer überleben», ist Silvia Berger, Projektleiterin Planung und Umwelt in der Gemeinde Worb (BE), überzeugt. Wie die Einführung der Beschaffungsrichtlinie in Worb vonstattengegangen ist, lesen Sie im Artikel «Beschaffungsrichtlinien: Spagat zwischen Vorschrift und Spielraum».

Wie gehen Sie das Werkzeug-Pooling genau an?

Zuerst machen wir eine Bestandsaufnahme. Wer hat was? Dann prüfen wir Optionen für ein Reservationssystem. Und schliesslich müssen wir die Logistik rund um das Abholen und Zurückbringen genauer anschauen. Das Ganze bedeutet einen Aufwand für die Mitarbeitenden. Deshalb müssen wir uns auch mit der Frage befassen, ob die Betroffenen wirklich bereit sind, diesen Mehraufwand auf sich zu nehmen. Denn nur eine Inventarliste zu machen, damit wir eine haben, lohnt sich definitiv nicht.

Warum ist Ihnen persönlich die nachhaltige Beschaffung ein Anliegen?

Persönlich denke ich, dass die Stadt als Beschafferin und Auftraggeberin eine Vorbildfunktion einnehmen kann. Sie kann aufzeigen, was möglich ist, auch mit Blick auf die Kosten. Mit diesem Ansatz kann mit einem verhältnismässigen finanziellen Aufwand einiges erreicht werden.

Haben Sie noch eine abschliessende Botschaft für Gemeinden, die sich mit der nachhaltigen Beschaffung befassen möchten?

Es lohnt sich wirklich, sich die Zeit zu nehmen und sich mit der nachhaltigen Beschaffung auseinanderzusetzen. Es gibt gute Hilfsmittel dafür, beispielsweise Beschaffungsmerkblätter (siehe Box). In vielen Bereichen lässt sich so mit wenig Aufwand viel bewirken. Die Reinigungsmittel sind ein gutes Beispiel dafür.

Hilfsmittel

Die «Toolbox nachhaltige Beschaffung Schweiz» auf der Wissensplattform nachhaltige öffentliche Beschaffung (WÖB) bietet wichtige Informationen und praktische Beispiele rund um den nachhaltigen Einkauf. Hilfestellung liefern zudem verschiedene Merkblätter zu Produktgruppen wie etwa Reinigungsmittel, Fahrzeuge, Möbel, Beleuchtung oder Papier.


Beitrag teilen

Artikel als PDF herunterladen

Über diesen Button wird das Druckmenü aufgerufen. Wählen Sie «Als PDF speichern», um den Beitrag als PDF herunterzuladen.