Beschaffungsrecht: Das bedeutet die Revision für Kantone und Gemeinden
Die Kantone haben im November 2019 die Totalrevision der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB2019) verabschiedet. Die Nachhaltigkeit erhält dabei einen hohen Stellenwert. Die Kantone sind nun daran, die Beitrittsverfahren zu lancieren. Was gilt nun wo? Und was bedeutet die Revision für die Gemeinden?
Verschiedene Wirtschaftsbranchen fordern seit Jahren eine Harmonisierung zwischen den Beschaffungsordnungen des Bundes und der Kantone sowie unter den Kantonen selbst. Bund und Kantone haben deshalb ihre Rechtsgrundlagen zum Beschaffungsrecht soweit möglich aufeinander abgestimmt. Zusätzlich haben sich die Kantone zum Ziel gesetzt, die Ausführungsbestimmungen in die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB2019) zu integrieren.
Stand der kantonalen Beitritte
Die revidierte IVöB wurde im November 2019 verabschiedet. Sie gilt in den einzelnen Kantonen allerdings erst, wenn diese der Vereinbarung offiziell beigetreten sind. Nun sind die Kantone daran, ihr Beitrittsverfahren zu lancieren. Die Kantone Aargau und Appenzell-Innerrhoden haben den Beitrittsprozess bereits vollzogen. Für sie ist die IVöB2019 seit dem 1. Juli 2021 in Kraft. Die Kantone Bern, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Freiburg, Graubünden, Luzern, St. Gallen, Solothurn, Schwyz, Thurgau, Waadt, Wallis, Uri und Zürich haben die Vernehmlassung eröffnet, bereits abgeschlossen oder befinden sich schon im parlamentarischen Prozess. Die weiteren Kantone werden folgen. Interessierte finden auf der Website der Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz (BPUK) eine laufend aktualisierte Übersicht über den Stand der Beitritte.
Was ändert sich für die Gemeinden?
Neben einigen Änderungen wurden verschiedene Präzisierungen und Neuerungen in die revidierte IVöB aufgenommen, die für Kantone, Städte und Gemeinden gelten. Eine der wichtigsten Anpassungen ist sicherlich, dass neu nicht mehr das wirtschaftlich günstigste, sondern das vorteilhafteste Angebot den Zuschlag erhält (Art. 41). Das entspricht einem Paradigmenwechsel und rückt den Qualitätswettbewerb in den Vordergrund. Entsprechend sind bei den Zuschlagskriterien Preis und Qualität zu berücksichtigen (Art. 29). Neu kann auch die Nachhaltigkeit Teil der Zuschlagskriterien sein (Art. 29).
Weitere wichtige Neuerungen sind die Unterstellung der Übertragung öffentlicher Aufgaben und der Verleihung von Konzessionen unter das Beschaffungsrecht (Art. 9), die Korruptionsprävention (Art. 11) und die Möglichkeit, flexible Instrumente wie elektronische Auktionen (Art. 23), Dialogverfahren (Art. 24) und Rahmenverträge (Art. 25) zu nutzen. Der Verfahrensabbruch ist zu publizieren (Art. 43). Die Ausschlussgründe (Art. 44) und Sanktionen (Art. 45) werden systematisch geregelt. Schliesslich sind die Publikationen zwingend auf Simap zu veröffentlichen (Art. 48) und die Rechtsmittelfrist dauert neu 20 Tage (Art. 56).
In der revidierten IVöB finden sich auch verschiedene Präzisierungen. Eine davon ist die Einhaltung massgeblicher Umweltschutzabkommen. Das heisst, ein Auftraggeber vergibt einen öffentlichen Auftrag nur an Anbieter, welche mindestens die geltenden rechtlichen Vorschriften zum Schutz der Umwelt und zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen einhalten. Eine weitere ist der objektive Geltungsbereich: Bislang war nur der subjektive Geltungsbereich (wer muss die IVöB anwenden?) geregelt. Die Regelungen zum objektiven Geltungsbereich (welche Aufträge sind unterstellt?) fanden sich ausschliesslich im Government Procurement Agreement (GPA), einem internationalen Beschaffungsabkommen, das die Schweiz ratifiziert hat. Neu sind beide Geltungsbereiche in der IVöB explizit ausgeführt (Art. 4 bis Art. 10).
Der Aufbau der revidierten IVöB ist so gegliedert, dass der gesamte Beschaffungsprozess vom Vergabeverfahren, den Vergabeanforderungen, dem Ablauf des Vergabeverfahrens bis hin zu den Fristen und Veröffentlichungen abgebildet ist.
Beschaffungswesen und Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit hat in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Auch in den Kantonen, Städten und Gemeinden wächst das Bedürfnis, den Nachhaltigkeitsaspekten im öffentlichen Beschaffungswesen künftig verstärkt Rechnung zu tragen.
Um die Nachhaltigkeit in die Beschaffung einfliessen zu lassen, müssen Beschaffende Anforderungen und Kriterien definieren, welche die drei Nachhaltigkeitsdimensionen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt in ausgewogener Weise berücksichtigen. Damit leisten Kantone, Städte und Gemeinden einen Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele. Mögliche Kriterien in den einzelnen Bereichen sind beispielsweise:
Gesellschaft: Einhaltung der Arbeitsbedingungen (GAV, internationale Arbeits- und Sicherheitsstandards), transparente Lieferketten, kontrollierte Produktherkunft («fair trade»).
Wirtschaft: Berücksichtigung der Lebenszykluskosten.
Volkswirtschaft: Aufteilung grösserer Aufträge in mehrere kohärente Lose (kleinere Auftragseinheiten), produktbezogene Innovationskriterien.
Umwelt: Wahl umweltschonender Materialien in Form erneuerbarer, rezyklierter oder kreislauffähiger Produkte sowie energie- und ressourceneffizienter Lösungen mit hoher Nutzungsdauer.
Gemeinsamer Beschaffungsleitfaden
Um die Praktiker:innen in der Umsetzung der Revision zu unterstützen, haben sich Bund, Kantone, Gemeinden und Städte entschieden, einen gemeinsamen Beschaffungsleitfaden zu erarbeiten. Die paritätisch zusammengesetzte Arbeitsgruppe mit dem Namen «TRIAS» erarbeitet derzeit den Leitfaden in zwei Schritten.
Als erstes erstellte die Arbeitsgruppe Faktenblätter. Diese greifen vielfältige neue Themen des Beschaffungsrechts auf:
Bereinigung der Angebote (Art. 39)
Dialog (Art. 24)
Massnahmen gegen Korruption (Art. 11, 44 Abs. 1 Bst. e)
Nachhaltigkeit (Art. 2, 12, 29, 30)
Rahmenverträge (Art. 25)
Sanktionen (Art. 45)
Standardisierte Leistungen (Art. 29 Abs. 4)
Übertragung öffentlicher Aufgaben und Verleihung von Konzessionen (Art. 9)
Zuschlagskriterien (Art. 29)
Die Faktenblätter werden im Herbst veröffentlicht.
In einem zweiten Schritt erstellt die Arbeitsgruppe den eigentlichen Beschaffungsleitfaden. Die Arbeiten dazu hat sie im Februar 2021 aufgenommen. Der Leitfaden wird ausschliesslich elektronisch verfügbar sein und kann heruntergeladen und ausgedruckt werden. Er soll als Einstiegsinstrument dienen, das die Beschaffungsverantwortlichen gezielt durch die für sie wichtigsten Informationen zum Beschaffungsprozess führt und auf bereits bestehende Handbücher, Informationen und spezifische Websites der drei föderalen Ebenen verweist.
Musterbotschaft zur IVöB und kantonale Neuerungen
Auf der Website der BPUK ist eine Musterbotschaft zur revidierten IVöB aufgeschaltet, in der die einzelnen Artikel erklärt werden. Damit sich Anwenderinnen und Anwender einen raschen Überblick verschaffen können, welche Neuerungen die revidierte IVöB in den einzelnen Kantonen beinhaltet, hat die BPUK zudem die Webseite «IVöB Neuerungen» erstellt. Momentan sind die Neuerungen aufgeschaltet, die für alle Kantone gelten. Die einzelnen Kantone werden in den nächsten Monaten die Plattform mit den zusätzlichen kantonsspezifischen Neuerungen ergänzen. Diese Texte wie auch die Musterbotschaft stehen in allen drei Landessprachen zur Verfügung und können bei Bedarf auch ausgedruckt werden.
Der ist im «Thema Umwelt» 3/2021 erschienen.
Titelbild: Rosa Panggabean / Fairtrade Max Havelaar