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Beschaffung
Praxisbeispiel

Grundlegender Wandel für nachhaltige Beschaffung braucht Zeit

Denise Lachat
Modernes Klassenzimmer: Ein Schulzimmer mit grüner Wand und Boden und weissen Möbeln im umgebauten Vignettaz-Schulhauses in Freiburg.

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8 Minuten Lesezeit

Beschaffung

Praxisbeispiel

Wie lassen sich Beschaffungs- und Projektverantwortliche aus verschiedenen Abteilungen für eine nachhaltige Beschaffungsrichtlinie begeistern? Noemie Dick, Nachhaltigkeitsexpertin der Stadt Freiburg, beleuchtet den Entstehungsprozess einer Richtlinie für nachhaltige Beschaffung in ihrer Stadt. Sie zeigt auf, warum der Weg dahin viel Geduld, Flexibilität und Beharrlichkeit verlangte.

In der Stadt Freiburg (FR) fordern zwei Parlamentarier vom Gemeinderat eine Politik der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung. Dazu haben sie den Prozess zur Erarbeitung einer Beschaffungsrichtlinie ins Rollen gebracht.

Von vielen Prozessen zu einem Rahmen

Tatsächlich beschäftigt das Thema die Stadt Freiburg seit Jahren. Die nun geforderte Bestandsaufnahme zeigte, dass dies nicht der erste Vorstoss war. In verschiedenen Ämtern und Abteilungen wurden mehrfach Anstrengungen unternommen und Prozesse angewandt, allerdings sehr uneinheitlich. So ist beispielsweise der koordinierte Einkauf von Büromaterial noch nicht in allen Amtsbereichen verbreitet, obwohl es seit 1999 eine zentrale Verwaltungsstelle gibt.

Noemie Dick, Nachhaltigkeitsexpertin der Stadt Freiburg, räumt ein, dass in ihrer Analyse tatsächlich ein einheitliches Vorgehen nicht leicht zu erkennen war. «Grundsätzlich versuchten alle Mitarbeitenden, es gemäss ihren Kenntnissen des Marktes und im Rahmen ihres Budgets so gut zu machen wie eben möglich.» Das Gros der Arbeit bestehe heute darin, die Beschaffungen der Stadt – insbesondere von Büromaterial – zu zentralisieren. So könnten Nachhaltigkeitskriterien systematisch angewendet werden.

Noemie Dick ist Nachhaltigkeitsspezialistin und Projektleiterin der Stadt Freiburg.

«Wir arbeiten auf einen echten Wandel in der internen Philosophie hin.»

Noemie Dick, Nachhaltigkeitsspezialistin der Stadt Freiburg

Nach dieser Diagnose und einem ersten Überblick über den Stand der Dinge formulierten Noemie Dick und ihr Projektteam im April 2022 eine Antwort an die Exekutive in Form eines möglichen Vorgehens.

Vorschlag für Vorgehen in drei Schritten

  1. Veröffentlichung einer Nachhaltigkeitscharta für die Stadt Freiburg (bereits erfolgt)

  2. Weiterbildungsmassnahmen für das Personal

  3. Schaffung einer Richtlinie für die nachhaltige öffentliche Beschaffung

Gleichzeitig sollen die übergeordneten Ziele dank dieses Rahmens zur Erreichung der zukünftigen Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt beitragen. Obwohl noch nicht beziffert, zielen sie laut Noemie Dick insbesondere auf eine kontinuierliche Verbesserung der Prozesse in der Verwaltung sowie auf eine Verringerung des ökologischen Fussabdrucks. Alles im Einklang mit dem nächsten Klimaplan der Stadt Freiburg.

Ohne Grundsatzentscheid kein Wandel

Bevor es an die Detailarbeit ging, wurde ein Grundsatzentscheid über die Verbindlichkeit der zukünftigen Richtlinie getroffen: Es sollte kein Arbeitsinstrument für die Ämter in Form eines Dokuments mit Listen von Kriterien und einem Produktkatalog werden, sondern einen Rahmen bilden, der die grossen Linien und Grundsätze absteckt. «Wir wollen Grundlagenarbeit leisten, die langfristig angelegt ist. So können wir auf einen echten Wandel der internen Philosophie hinarbeiten», erklärt Noemie Dick. 

Fünf Grundsätze als Basis für die Richtlinie

  • «Weglassen», was nicht wirklich gebraucht wird.

  • «Reduzieren», was gebraucht wird und nicht weggelassen werden kann.

  • «Wiederverwenden», was gebraucht wird und weder weggelassen noch reduziert werden kann.

  • «Recyceln», was nicht weggelassen, reduziert oder wiederverwendet werden kann.

  • «Der Erde zurückgeben», was kompostiert werden kann.

Verständnis schaffen und begleiten

Auf dem Weg hin zu dieser gemeinsamen Philosophie setzt das Projektteam auf Information und Schulung des Verwaltungspersonals. Einerseits, um die bereits bestehenden guten Praktiken zu festigen, und andererseits, um den Wandel zu begleiten. Die Expertin für nachhaltige Entwicklung ist sich bewusst, dass alle öffentlichen Verwaltungen bereits damit beschäftigt sind, sich mit den jüngsten Änderungen in Zusammenhang mit der neuen Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) vertraut zu machen. Die Reaktion des Marktes muss aber über verschiedene Pilotprojekte getestet werden. Aus diesem Grund hat sich das Projektteam in Freiburg Zeit genommen, um die Profile der am Prozess beteiligten Parteien genau zu identifizieren. Schliesslich wurde miteinander eine relevante Strategie gestaltet, die Freiburg prägen soll.

Seit Beginn des Projekts wurde daher der Prozess unter dem Gesichtspunkt des «Change-Management» geführt, wohl wissend, dass nicht alle Mitglieder der öffentlichen Verwaltung zur gleichen Zeit am gleichen Punkt auf der Kurve des Wandels stehen. Um die Teams an einen Tisch zu bringen, entschied sich das Projektteam für Einzelgespräche, um die Ursachen von Blockaden zu verstehen. Die anstehenden Veränderungen wurden durch jeweils unterschiedliche Ansätze integriert, je nach Stadium der Entwicklung.

Ein Mann in oranger Kleidung wirft Karton in ein Elektro-Kehrichtsammelfahrzeug.

Freiburg stellt auf umweltfreundlichere Fahrzeuge wie dieses elektrisch betriebene Kehrichtfahrzeug um. Bild: Gemeinde Freiburg

Für 2024 ist ausserdem geplant, die Zusammenhänge zwischen Investitionsprojekten und nachhaltigen Beschaffungspraktiken aufzuzeigen. Ebenfalls vorgesehen ist ein Finanzgutachten, mit dem sich die Einsparungen als Folge von Klimaschutzmassnahmen beziffern lassen.

Ein weiteres Schlüsselelement auf dem Weg zur Richtlinie ist der Umstand, dass das Projektteam von der Rechtsabteilung der Stadt sowie von einem Spezialisten für nachhaltige öffentliche Beschaffung unterstützt wird. So können den Mitarbeitenden sowie dem Gemeinderat fundierte Vorschläge unterbreitet werden. Trotzdem gebe es manchmal heftige Diskussionen: über eine mögliche Senkung der Schwellenwerte für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, über einen restriktiveren Rahmen für Grossprojekte der Stadt oder über die zusätzliche Arbeitsbelastung des Personals als Folge der neuen Arbeitsweise.

Schritt für Schritt zum Ziel

An sich wäre es möglich, dem Gemeinderat einfach Bericht zu erstatten und eine Richtlinie vorzulegen, sagt Noemie Dick. Die Projektleiterin weiss jedoch genau, dass die Richtlinie nicht ohne vorherige Vernehmlassungen bei den Betroffenen durchgehen würde. «Wir haben uns daher für einen schrittweisen Prozess von den Einkaufsverantwortlichen über die verschiedenen Führungskräfte bis hin zum Gemeinderat entschieden, um sicherzustellen, dass das Projekt von allen getragen wird.» Dieser Prozess braucht viel Zeit. Die Richtlinie wurde dem Gemeinderat bisher noch nicht vorgelegt.

«Ich freue mich über kleine Siege.»

Noemie Dick, Nachhaltigkeitsspezialistin der Stadt Freiburg

Noemie Dick macht keinen Hehl daraus, dass sie – wie ihre Teamkolleg:innen auch – verschiedene Phasen der Motivation und Produktivität durchlaufen hat. «Ich stelle fest, dass ich mich über kleine Siege freue. Das ist der Fall, wenn mich jemand vor einer Ausschreibung anruft und fragt, wie er das Dokument, das ich ihm geschickt habe, richtig anwendet.» Dick ist jedoch überzeugt, dass sich der Kompromiss dank des verbindenden und interdisziplinären Ansatzes unter den Mitarbeiter:innen der Stadt Freiburg letztendlich auszahlen wird.

Derzeit passt das Projektteam die Strategie nach der internen Vernehmlassung an. Im Frühjahr 2024 möchte es eine neue Version vorlegen, die den formulierten Erwartungen bestmöglich entspricht.

Allmählich gibt es hier und da ein Lächeln auf den Gesichtern. Gut möglich, dass der Gemeinderat der Stadt Freiburg diesen Sommer über eine Richtlinie zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung berät, die das Potenzial für eine breite und erfreuliche Zustimmung birgt.

Nachhaltige Beschaffung auf verschiedenen Ebenen

Das Thema nachhaltige Beschaffung wird auf internationaler Ebene in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen behandelt, insbesondere durch die Sustainable Development Goals (SDGs) mit dem Ziel Nummer 12 für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster. Die SDGs bilden das Kernstück der Agenda 2030 und berücksichtigen die wirtschaftliche, soziale und ökologische Dimension der nachhaltigen Entwicklung gleichermassen. Auch die Schweiz hat sich verpflichtet, diese Ziele auf nationaler Ebene umzusetzen. Die Kantone und Gemeinden entwickeln Strategien und Richtlinien im Zusammenhang mit der Agenda 2030, die spezifisch auf ihre eigenen Räume und Strukturen zugeschnitten sind.

Nützliche Links:

  • Die Beschaffungskonferenz des Bundes (BKB) hat Leitsätze für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen entwickelt.

  • Die «Toolbox nachhaltige Beschaffung Schweiz» ist die aktualisierte Zusammenführung des «Guide des achats professionnels responsables» (GAPR) aus der Romandie, der von den Kantonen Waadt und Genf entwickelt wurde, und dem «Kompass Nachhaltigkeit» der Stiftung Pusch. Das Projekt wurde vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) finanziert und bietet Informationen über den gesetzlichen Rahmen, Methoden zur Bewertung der Auswirkungen von Produkten, Merkblätter zu Produktgruppen sowie praktische Beispiele.

Titelbild: Im Zuge der Renovation des Vignettaz-Schulgebäudes wurde bei der Ausschreibung genau hingeschaut, um den ökologischen Ansprüchen gerecht zu werden. (Bildquelle: Gemeinde Freiburg)


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