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Biodiversität
Fachartikel

Das kleine Einmaleins für vielfältige Flächen

Daniel Gutzwiller
Eine Biene fliegt eine violette Blume an.

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7 Minuten Lesezeit

Biodiversität

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Grünflächen sind im Dorfzentrum oft ein rares Gut. Umso wichtiger ist es, möglichst viel aus ihnen rauszuholen. Mit fachkundiger Unterstützung lassen sich leere Insektenhotels, Konkurrenzkampf und Fressfeinde vermeiden.

Zwischen Häusern und Strassen, Mauern und Plätzen freuen sich Tiere und Pflanzen über jede Naturoase. Bunte Flächen vernetzen Lebensräume und sind erst noch schön anzusehen. Doch nicht jedes hübsche Begleitgrün ist eine Biodiversitätsoase. Ihr Standort, die konkrete Ausgestaltung und die Nähe zu anderen Grünflächen spielen eine grosse Rolle dabei, wie wertvoll eine solche Fläche im Quartier wirklich ist. Wie gelingt es also, bestehende Flächen in wirkungsvolle Naturoasen zu verwandeln?

Erst denken, dann handeln

Am Anfang steht ein Plan – das A und O für den Erfolg jeder Massnahme. Wichtige Fragen, die es schon vorab zu klären gilt, sind etwa: Wie viel darf das Projekt kosten? Wen holt man zur Beratung und Unterstützung ins Boot? Wie wurde die Fläche bisher genutzt und müssen gewisse Nutzungsansprüche vielleicht auch nach der Umgestaltung noch erfüllt sein? Wer kümmert sich langfristig um die aufgewerteten Flächen? Ein solcher Plan legt die Rahmenbedingungen fest, berücksichtigt lokale Gegebenheiten und Potenziale und steht im Einklang mit übergeordneten Biodiversitätskonzepten und Zielsetzungen.

Die Planungsphase soll aber nicht abschrecken – gerade auch die niederschwellige Aufwertung von kleineren Flächen ist wertvoll für die Artenvielfalt und Vernetzung von Lebensräumen und Populationen. Brachliegende oder mit Rasen überzogene Restflächen, Verkehrsinseln, Rabatten oder Baureserveland bieten dafür vielfältige Möglichkeiten: Ein einheimischer Baum, mehrjährige Stauden, hier ein Asthaufen oder dort eine artenreiche Wiese – sie brauchen im Normalfall weniger Pflegeaufwand als ein Rasen und sorgen budgetschonend für mehr Biodiversität.

Langfristige Pflege mitdenken

Ganz ohne Planung geht es allerdings nicht. Obwohl naturnah gestaltete Flächen pflegeleicht sein können – der fachgerechte und langfristige Unterhalt ist unerlässlich. Die Pflege gehört deshalb schon von Anfang an in die Planung. Schliesslich sollen langlebige Naturoasen entstehen, die auch Jahre später noch ihre biodiversitätsfördernde Wirkung entfalten. Artenreiche Blumenwiesen zum Beispiel pflegt man anders als konventionelle Rasenflächen. Wer genau sich nach der Aufwertung fachkundig und langfristig um die Naturoase kümmern soll, gilt es deshalb schon in der Planungsphase zu klären.

Bei naturnah gestalteten Flächen ist fachgerechter und langfristiger Unterhalt unerlässlich.

Proaktiv informieren

Heute interessieren sich immer mehr Einwohnerinnen und Einwohner für die Natur in ihrer Gemeinde. Eine neue brachliegende oder vermeintlich unaufgeräumte und «verwilderte» Grünfläche bleibt nicht lange unbemerkt. Fester Bestandteil jedes Aufwertungsplans muss deshalb die Öffentlichkeitsarbeit sein. Die Bevölkerung soll erfahren, was hier gerade zugunsten der Artenvielfalt entsteht und bald wächst. Wichtig ist das vor allem dort, wo Erklärungsbedarf besteht – etwa bei einer länger bestehenden brachen Fläche zur Vorbereitung für Blumenwiesen. Doch auch ganz allgemein lohnt es sich zu zeigen, dass die Gemeinde einen Beitrag zur Förderung der Biodiversität leistet und sich für eine intakte Natur engagiert. Damit stärkt die Gemeinde nicht nur die Akzeptanz für einzelne Massnahmen, sie sensibilisiert gleichzeitig für naturnahe Grünräume und geht damit als Vorbild voran. In die Planung einer Aufwertung gehören also begleitende Kommunikationsmassnahmen. 

Das alles entscheidende «Wo»

Gerade weil die Gemeinde mit ihren Grünflächen eine Vorbildfunktion einnimmt – und natürlich auch, weil sie keine Ressourcen verschwenden will –, sollte sie Fördermassnahmen fachkundig umsetzen. Nicht jede vermeintliche Aufwertung ist auch wirklich ein Gewinn für die Biodiversität. Ein hübsches Wildbienenhotel gehört zwar mittlerweile fast zum Landschaftsbild und ist ein unbestrittenes Mittel zur Sensibilisierung. Steht ein solches aber im Schatten, fernab jeglicher Futterquelle, so ist das etwa so sinnvoll wie eine leer stehende Wohnsiedlung. Bei selbst gebauten Wildbienenhotels sind Materialwahl, Grösse und Abstände der Löcher und weitere Aspekte entscheidend für eine erfolgreiche Besiedlung. Schon kleine Mängel können bedeuten, dass sich gar keine Wildbienen darin ansiedeln. Sind die Löcher beispielsweise nicht schön glatt gebohrt und stehen Holzfasern an den Öffnungen hervor, können sich Bienen daran ihre Flügel verletzen. Auch gut gemeinte Ergänzungen sind teilweise alles andere als hilfreich, wie etwa unpassende Backsteine oder Materialien, die Fressfeinde der Bienen anlocken. Oft geht vergessen, dass die meisten Wildbienen in sandigen, offenen Böden nisten und klassische Bienenhotels eigentlich nur wenigen Mauerbienen zugutekommen.

Vorsicht geboten ist auch bei der Wahl des Standorts von neuen Förderstrukturen. Vielleicht sind in der Gemeinde nur wenige eigene und gleichzeitig geeignete Flächen verfügbar. Da ist die Versuchung gross, zu viele Förderstrukturen auf eine Fläche zu packen oder einfach solche zu wählen, die «sich zeigen lassen», aber nicht zum Standort passen oder sich möglicherweise konkurrenzieren. Jeder Standort ist einzigartig und nicht für jede Aufwertung geeignet.

Zwar dürfte sich in einer neuen Grünfläche immer irgendeine Tier- oder Pflanzenart wohlfühlen. Sollen aber spezifische Arten gefördert werden, müssen deren Bedürfnisse im Zentrum stehen. Reptilien zum Beispiel brauchen als wechselwarme Tiere die wärmenden Sonnenstrahlen. Eine Steinstruktur für Echsen und ihre Genossen sollte deshalb nicht im Schatten eines Baums liegen. Es führt bei der Planung solcher spezifischen Förderstandorte also kein Weg an der Frage vorbei, welche Arten besonders profitieren sollen. Die Standortfaktoren spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Networking für Tiere

In der Biodiversitätsförderung ist die Vernetzung ein grosses Thema. Einzelne Flächen sind gut, diverse vernetzte Flächen besser. Denn die meisten Tierarten profitieren sehr von unterschiedlichen Strukturen in unmittelbarer Nähe. Oft haben sie andere Ansprüche an den Standort für die Futtersuche als an den für die Aufzucht oder die Winterruhe. Eine isolierte Grünfläche mitten in einem komplett versiegelten Dorfzentrum kann für flugfähige Insekten zwar nützlich sein, doch flugunfähige Populationen profitieren kaum. Genauso sind Strassen und asphaltierte Plätze ein Hindernis. Viele kleinere naturnahe Fleckchen können krabbelnden und kriechenden Tieren dabei helfen, diese Hindernisse zu überwinden. Es lohnt sich also, in Netzwerken zu denken.

Einzelne Flächen sind gut, diverse vernetzte Flächen sind besser.

Bei aller Vernetzung ist aber zu beachten, dass benachbarte Fördermassnahmen auch in Konkurrenz zueinander stehen können – etwa wenn man eine Art fördert und nebenan gleich Fressfeinde anlockt. Man stelle sich einen Garten vor, der mit seinem Blumenangebot gezielt besondere Schmetterlinge anlockt. Und gleichzeitig laden mehrere Vogelhäuschen lauter schmetterlingshungrige Vögel zum Nisten ein. Das heisst: Unterschiedliche Nisthilfen sollten sich gegenseitig nicht zu stark konkurrenzieren und sind vor allem dort sinnvoll, wo auch ein genügend grosses Nahrungsangebot für alle geförderten Tierarten vorhanden ist. Ähnliches gilt auch bei Pflanzen: Hochstammbäume zum Beispiel sind für die Biodiversität wertvoll. Doch sie brauchen Platz, um sich gesund zu entwickeln. Zu kleine Abstände zwischen den Bäumen oder zu anderen Objekten hindern das Wachstum – sowohl ober- als auch unterirdisch.

Qualitative Strukturen sind gute Vorbilder

Die Beispiele zeigen: Es lohnt sich, eine fachkundige Person beizuziehen, um vorbildhafte biodiversitätsfördernde Massnahmen zu planen, umzusetzen und ihre langfristige Wirkung sicherzustellen. Schliesslich sind es solche Umsetzungen, die Privatpersonen zum Aktivwerden im eigenen Garten oder auf dem Balkon inspirieren können. Idealerweise lernen sie also von fachmännisch gebauten Nisthilfen und multiplizieren die vorbildlichen Aufwertungen. Und doch gilt grundsätzlich: Jede Förderstruktur ist besser als keine. Weiter verbessern geht immer. Bestenfalls lernt man aus gescheiterten Versuchen und kann nachträglich optimieren.

Der Artikel ist im «Thema Umwelt» 4/2021 erschienen. 


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