Gemeinde
Biodiversität
Praxisbeispiel

Ein Industrieareal mit grünem Rückgrat

Michael Ochsenbein
Guido Keune
Drohnenaufnahmen des Attisholzareal.

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6 Minuten Lesezeit

Biodiversität

Praxisbeispiel

Das Attisholz-Areal im Kanton Solothurn befindet sich im Wandel von einer grossen Industriebrache zum urbanen Quartier. Es soll künftig Industrie, Gewerbe, Freizeit und Naherholung verbinden. Dabei ist der öffentliche Uferpark ein zentrales Element, die alten Lebensräume bewahrt und neue schafft.

Lang und schmal erstreckt sich der neue «Uferpark Attisholz» über rund 1,5 Kilometer entlang des südlichen Aare-Ufers. Das Naherholungsgebiet vor den Toren der Stadt Solothurn liegt in der Gemeinde Luterbach (SO) – zwischen Emme-Einmündung und Kläranlage. Der 2019 eröffnete Uferpark gehört zum Attisholz-Areal, einem Industriegebiet, das sich gerade in ein neues Quartier mit wertvollem Naherholungsraum verwandelt. Es ist eine tiefgreifende Transformation, die das Gelände der ehemals grössten Produktionsstätte der Schweiz für Zellulose zurzeit durchläuft. Und der rund 55'000 Quadratmeter grosse Park ist das grüne Rückgrat dieser Entwicklung. 

Arbeitsplätze und Identität  

Das Attisholz-Areal besteht aus zwei Teilen: Das Nord-Areal gehört zur Gemeinde Riedholz (SO), das Süd-Areal liegt auf Luterbacher Boden. Als Entwicklungsgebiet von kantonaler Relevanz, mit dem Fokus auf die Ansiedlung neuer Firmen, Umstrukturierung und Aufwertung, stellt das Areal Attisholz eine wichtige Industriereserve dar: Während die Entwicklung des Nord-Areals, das dem Immobilienunternehmen Halter gehört, eine Kombination aus vielfältigen Wohnformen, Arbeitsplätzen, Dienstleistungen und Freizeitnutzungen vorsieht, soll das Süd-Areal zu einem bedeutenden Industrie- und Gewerbezentrum werden, welches die nachhaltige, wirtschaftliche Entwicklung sichert. Durch eine vorausschauende Planung könnte das Areal zu Wertschöpfung, Wachstum und Wohlstand in der Region beitragen und zu einem Siedlungsraum für innovative Unternehmen werden. Das Areal soll sich zu einem Arbeitsplatzgebiet mit unterschiedlichen Nutzungen und zu einem lebendigen Ort entwickeln, der einen Mehrwert für die Bevölkerung bringt und so für Identität sorgt, sei es bei ausgedehnten Spaziergängen oder beim Entdecken neuer Flora und Fauna. 

Entstehung des Uferparks  

Aus raumplanerischen und strategischen Überlegungen erwarb der Kanton Solothurn zwischen 2010 und 2015 46 Hektaren Dossier 17 des ehemaligen Fabrikareals Attisholz-Süd. Mit Unterstützung von Beratungsbüros erstellte der Kanton 2011 eine Testplanung für das Nord- und Süd-Areal, woraus in der Vertiefungsphase zwei Masterpläne entstanden. Sie dienten als Grundlage, um die Nutzungsplanung vorzubereiten. Die Schaffung eines grossen öffentlichen Parks auf dem Süd-Areal war ein wichtiger Bestandteil dieser Pläne. 

Drohnenaufnahmen des Attisholzareal.

Industrie neben Naherholung, Gewerbe neben Kultur – das Attisholz-Areal befindet sich mitten in einer grossen Transformation. Bild: Michel Lüthi/Bilderwerft.ch

Wie sieht ein zeitgenössischer Park zwischen einem ehemaligen und zukünftigen Industrieareal, zwischen Naturschutz und Erholungsdruck, zwischen infrastrukturellen Verbindungen und ökologischer Vernetzung aus? Diese und ähnliche Fragen galt es bei der Planung zu beantworten. Mittels eines Qualitätsverfahrens im Jahr 2015 empfahl die damalige Jury das Projekt «Dévoiler» des Büros Mavo Landschaften zur Weiterbearbeitung. 2017 genehmigte der Regierungsrat schliesslich den kantonalen Erschliessungs- und Gestaltungsplan «Öffentlicher Uferpark – Attisholz Süd, Luterbach» mit Sonderbauvorschriften. So ist der Entwurf «Dévoiler», der pragmatisch und poetisch zugleich auf den Ort und die Vorgaben einging, Wirklichkeit geworden. Rund sechs Millionen Franken investierte der Kanton Solothurn in den Uferpark. 

Lebensräume erhalten und schaffen  

Die wichtigsten Elemente des Parks sind der neue Uferweg, der zentrale Platz, der Restaurationsbetrieb «1881 Kantine» in der ehemaligen Fabrik-Kantine, die in ein Spiel- und Erlebnisparadies umgenutzte ehemalige Kläranlage, die grosszügigen Grünräume mit Sichtbezug zum Nord-Areal sowie zahlreiche Bäume und Sträucher. Der zentrale Platz dient als verbindendes Element zum Nord-Areal, zum übergeordneten Wegnetz sowie zur Anbindung ans Wasser. Vom renaturierten Ufer mit vorgelagerten Kiesinseln und dichten Strauchpartien profitieren die Wasser- und Zugvögel, deren Lebensraum entlang der Aare unter internationalem Schutz steht. 

Die Grundsätze «Natur erhalten soweit schon vorhanden» und «Starthilfe für neue Naturräume» standen hier im Fokus. Das Ziel war die Sicherstellung respektive Wiederherstellung der ökologischen Funktionen sowie einer artenreichen Flora und Fauna. Nach und nach werden die Flächen von Gräsern und Kräutern überwachsen sein. Dabei werden die Pflanzen der Umgebung und allfällige Einsaaten dominieren. In dieser Phase entscheidet sich auch, welche der gepflanzten Sträucher und Bäume sich behaupten können. 

Vom renaturierten Ufer profitieren die Wasser- und Zugvögel, deren Lebensraum entlang der Aare unter internationalem Schutz steht.

Durch gezielte Pflegeeingriffe sollen exotische, eingeführte Pflanzen ersetzt werden. Hat sich eine gute Bestockung sowie Beschattung einmal etabliert, werden in der Regel auch invasive Neophyten in Schach gehalten. Der Gewässerraum ist Zufluchtsort für Pflanzen und Tiere, welche offene Flächen brauchen. Deshalb sind entlang der Gewässer auch gehölzfreie Stellen sinnvoll. Diese besonnten Zonen bieten etwa Reptilien und vielen Insektenarten wichtige Rückzugsräume. Gewässer mit abwechslungsreichen Wassertiefen und vielfältigen Strömungsverhältnissen bieten ein reiches Angebot an Lebensräumen für Wasserlebewesen. Eine morphologische Vielfalt der Sohle ist wichtig. 

Unordnung gewünscht

Grundsätzlich wird zwischen den extensiv und intensiv genutzten Parkbereichen unterschieden. Dies insbesondere auch hinsichtlich der notwendigen Pflege. In den extensiven Parkbereichen gilt es, weniger oder gar nicht einzugreifen. Die entstehende «Unordnung» ist aus ökologischer Sicht wertvolle Vielfalt. In der heute grösstenteils sehr intensiv genutzten Landschaft fehlen für viele Pflanzen- und Tierarten die natürlichen Rückzugsgebiete, welche sie für ihr Fortbestehen brauchen. Naturnahe Gewässerräume sind daher für viele Organismen zum letzten Rückzugsgebiet geworden. Daher kann das menschliche «Aufräumen» durchaus fatale Folgen haben: So gefährdet beispielsweise ein zu frühes oder zu häufiges Mähen, Jungtiere oder Vogelbruten. Auch Insekten, welche für ihre Entwicklung lange Zeiträume brauchen (teilweise mehrere Jahre), verlieren durch die Entfernung von Totholz oder den Rückschnitt von verblühten Hochstauden ihren Lebensraum. Durch das Räumen von Auflandungen oder Totholzansammlungen im Gewässer entfallen wichtige Brutnischen und Aufwuchshabitate für Fische. 

Eine periodische Begehung durch die Verantwortlichen des Hochbauaumtes macht deutlich, wo im Park Handlungsbedarf besteht. Vielerorts kann auf Eingriffe verzichtet werden, respektive sind längere Intervalle zwischen zwei Eingriffen möglich. So dienen Uferanrisse gewissen Vogelarten als Nistplätze und unterspülte Baumwurzeln als Fischunterstände. Der Fluss erhält innerhalb des Gewässerraums in kontrollierter Art und Weise Raum für eine eigendynamische Entwicklung. Eine fachgerechte Gehölzpflege soll diese natürliche Stabilisierung der Uferbereiche zusätzlich unterstützen. In den intensiver genutzten Parkbereichen, wie etwa bei den Grill-, Aufenthalts- oder Begegnungsplätzen, werden die Unterhaltsarbeiten der Nutzung beziehungsweise den Nutzungsmöglichkeiten angepasst. Es ist nur so viel Unterhalt und Pflege zu leisten, wie nötig ist, um die entsprechenden Nutzungen sicherzustellen. Dabei wird auch an die Eigenverantwortung appelliert. 

Der Artikel ist im «Thema Umwelt» 1/2022 erschienen.
Titelbild: Michel Lüthi


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