Grüne Oase statt Hitzeinsel
Die steigenden Temperaturen stellen Gemeinden und Städte vor neue Herausforderungen. Mit den richtigen Massnahmen sind sie jedoch in der Lage, den Siedlungsraum an die wachsende Hitzebelastung anzupassen und gleichzeitig einen wertvollen Beitrag zur Biodiversität zu leisten.
Wer an den Ostertagen im Mittelland spazieren ging, fühlte sich fast wie in einem milden Sommer. Geregnet hatte es zu dem Zeitpunkt schon seit Längerem kaum mehr. Die Regenmenge im April lag schweizweit deutlich unter dem Durchschnitt. Auch auf Zufluss des geschmolzenen Schnees war nicht mehr zu hoffen. Die Schneedecke war aufgrund der warmen Temperaturen schon früh verflossen.
Während dem Bundesrat das sommerliche Wetter zu Zeiten des Corona-Lockdowns Kopfzerbrechen bereitete, hob es die Gemüter der Quarantäne-Geplagten. Die Sorgen der Klimaforscher hingegen drehen sich um mehr als den April oder eine einmonatige Trockenperiode. Die Temperaturen sind in der Schweiz in den vergangenen 150 Jahren um knapp zwei Grad angestiegen, im Winter kühlt es weniger ab. Gerade der vergangene Winter markierte einen neuen Rekord: Er war der mildeste seit Messbeginn. Die Auswirkungen, welche diese Veränderungen auf das ganze Ökosystem haben, zeigen sich je länger je deutlicher.
Beginnt der Frühling früher, erwacht auch die Natur früher. Ist der Sommer ausserordentlich heiss, wie etwa im Jahr 2018, werfen gewisse Bäume ihre Blätter zu früh ab. Um trotz des Temperaturanstiegs zu überleben, suchen sich einige Pflanzenarten neue Lebensräume in der Höhe, wo sie nicht selten mit dort ansässigen Arten konkurrieren. Und auch Tiere ziehen sich aus tieferen Lagen zurück, wie beispielsweise die Ringdrossel. Südliche Arten hingegen arbeiten sich ins Mittelland vor. Gleichzeitig werden Städte in den Sommermonaten zu Hitzeinseln, denen die Bevölkerung mit Urlaub auf entfernten, windigeren Inseln zu entweichen versucht.
Während Pflanzen und Tiere angesichts dieser Veränderungen drei Möglichkeiten haben – anpassen, migrieren oder verschwinden – bleibt den Menschen die Option, diese Veränderungen aufzuhalten oder mindestens zu bremsen. So hat auch die Schweiz das Pariser Klimaübereinkommen unterschrieben und das Klimaziel vor rund einem Jahr nachträglich noch verschärft: Komplette Klimaneutralität, Deadline ist das Jahr 2050.
Abkühlung im Siedlungsraum nötig
Für Städte und Gemeinden bedeutet dies Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen. Die Palette an Handlungsmöglichkeiten, mit denen sie wirksame Massnahmen zur Reduktion der CO₂-Emissionen ergreifen können, ist breit. Gleichzeitig bleibt die Option des Anpassens an die bereits eingetroffenen und weiterhin erwarteten Klimaveränderungen zentral. Insbesondere im Siedlungsraum werden kühlende Massnahmen für Mensch und Natur immer wichtiger. Dichte Bebauung und ein hoher Versiegelungsgrad führen dazu, dass mehr Sonnenenergie gespeichert wird und weniger Luft zirkulieren kann.
Die Palette an Handlungsmöglichkeiten zur Reduktion der CO₂-Emissionen ist breit.
Dass Massnahmen im städtischen Raum notwendig sind, um der Klimaerwärmung standzuhalten, birgt aber auch Chancen: Viele Anpassungen, die im öffentlichen Raum einen Kühleffekt bewirken, steigern die Lebensqualität und fördern gleichzeitig die Biodiversität – was auch dringend nötig ist. Denn die Artenvielfalt hat in der Schweiz in den vergangenen hundert Jahren einen starken Rückgang erlebt: Hierzulande sind rund 36 Prozent der Arten gefährdet. Neben dem Klimawandel und hohen Ressourcenverbrauch ist der anhaltende Verlust der Biodiversität eine der Hauptherausforderungen der heutigen Umweltpolitik. Und der Klimawandel bedroht die Artenvielfalt zusätzlich. In dieser doppelten Krise muss die ökologische Infrastruktur ausgebaut werden.
Grün ist cool
Dank ihres Handlungsspielraums sind Gemeinden und Städte in der Lage, den Siedlungsraum im Hinblick auf die wachsende Hitzebelastung umzugestalten und dabei gleichzeitig die Biodiversität zu stärken. Naturnah gestaltete Grünräume und widerstandsfähige Baumbestände etwa kühlen den Siedlungsraum auf natürliche Weise. Ein 50-jähriger Baum erbringt die Kühlleistung von zehn Klimaanlagen mit 20 bis 30 Watt. Gleichzeitig sind Bäume grossartige Lebensräume: So beherbergen Stiel- oder Traubeneichen bis zu 500 Arten, die stark von diesen Bäumen abhängig sind, etwa den Mittelspecht, Hirschkäfer oder Abendsegler. Der Stadtpark im Zentrum ist dabei ebenso wichtig wie die Baumalleen und grünen Aussenräume im Quartier am Stadtrand. Das setzt voraus, dass beim Wachstum der städtischen Gebiete und Agglomerationen die Natur nicht vergessen geht, sodass die Biodiversität bereits in der Planung mitgedacht wird.
Helle Oberflächen und unversiegelte Flächen tragen ebenfalls positiv zum Stadtklima bei. Anstatt sie zu versiegeln, können Restflächen beispielsweise als Magerwiesen oder Ruderalflächen entlang von Strassen ausgestaltet werden. Sie lassen das Regenwasser besser versickern und tragen zur Verdunstungskühlung bei. Gleichzeitig bieten naturnah gestaltete Grünflächen, wie etwa Blumenwiesen, deutlich wertvollere Lebensräume für Tiere und Pflanzen als artenarme Fettwiesen oder monotone Rasen. Und als zusätzlicher positiver Nebeneffekt steigern sie die Lebensqualität im Quartier, was sich positiv auf die Standortattraktivität auswirkt.
Kühlen und vernetzen
Eine besondere Rolle bei der Kühlung spielt der Siedlungsrand. Dies wegen seiner Lage zwischen Siedlungsraum und Umland, zwischen denen ein grosser Temperaturunterschied herrschen kann. Ob Kaltluft in den Siedlungsraum eindringen kann und ob deren Transport gefördert oder gar behindert wird, hängt stark von der Ausgestaltung des Siedlungsrandes ab. Kaltluftleitbahnen können etwa durch Baumalleen oder offene Bachläufe entstehen.
Dies spricht für die Renaturierung und Offenlegung von eingedolten Wasserläufen, damit diese dazu beitragen können, kalte Luft in die Quartiere zu leiten und die Umgebung dank der Verdunstungskühlung positiv zu beeinflussen. Gleichzeitig entlasten sie die Kanalisation bei starken Niederschlägen und vernetzen Lebensräume von Tieren, die natürlicherweise wandern.
Gemeinde als Vorbild
Für die Förderung und Gestaltung naturnaher und klimaangepasster Räume stehen Gemeinden und Städten verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, etwa mittels raumplanerischen Instrumenten, Massnahmenplänen oder konkreten Bauvorgaben. Die grösste Wirkung erzielen sie, wenn die gewählten Massnahmen mit natürlichen Mitteln zur Kühlung des Stadtklimas beitragen und gleichzeitig die Vielfalt der heimischen Arten stärken.
Nicht zu vergessen ist ausserdem die Vorbildwirkung der Gemeinde. Wie dies zu konkreten Taten führen kann, zeigt beispielsweise die Gemeinde Bolligen (BE): Sie unterstützt neu auch Privatpersonen, wenn sie biodiversitätsfördernde Massnahmen umsetzen. Wer Aufwertungen nach bestimmten Vorgaben der Gemeinde vornimmt, sei das in Form eines Ast- oder Steinhaufens oder einer Holzbeige, erhält dafür einen finanziellen Zustupf. Dies hat die Gemeinde in der Biodiversitätsbeitrags-Verordnung Anfang 2020 entsprechend festgehalten.
Je nachdem, wie eine Gemeinde mit der Natur und Biodiversitätsförderung umgeht, kann sie in der Bevölkerung ein grösseres Bewusstsein für das Thema schaffen und inspirieren. Mit konkreten Unterstützungsmassnahmen, wie sie Bolligen eingeführt hat, kann diese Wirkung noch verstärkt werden.
Der Artikel ist im «Thema Umwelt» 2/2020 erschienen.