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Beschaffung
Praxisbeispiel

«Bei jeder Entscheidung spielen ökologische Überlegungen eine Rolle»

Sonja Plüss
Eine Luftaufnahme der Stadtzürcher Siedlung Hardturm, zu der auch die Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1 gehört.

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7 Minuten Lesezeit

Beschaffung

Praxisbeispiel

Die Genossenschaft Kraftwerk1 verfolgt im Betrieb einen ökologischen Gebäudeunterhalt. Urs Büchi, Leiter Facility Management, und Ariane Meier, Vorstandsmitglied Ressort Ökologie und Innovation, teilen ihre Praxiserfahrungen im Interview. Die besten Lösungen? Sie sind das Resultat von sorgfältigem Abwägen.

Sonja Plüss im Gespräch mit Ariane Meier und Urs Büchi  

Welchen Stellenwert hat die ökologische Nachhaltigkeit für die Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1? 

Ariane Meier: Von Beginn weg einen sehr hohen. Bedürfnisse wie kostengünstiger Bau und Unterhalt überschatten gerne nachhaltige Aspekte. Und schon sind wir im Dilemma. Bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen ist uns gerade als Genossenschaft ein grosses Anliegen. Ohne das festgemachte Ziel, den ökologischen Fussabdruck verringern zu wollen, werden aber keine grossen Sprünge gemacht. Darum ist die Ökologie bei uns strategisch verankert. 

Oftmals sind nachhaltige Alternativen teurer – so lauten viele Vorurteile. Was meint ihr dazu?

Meier: Tatsächlich, ein nachhaltigeres System einzuführen bedeutet meistens eine Initial-Investition. Wenn ökologische Lösungen während der Planung mitgedacht werden, wird vieles aufgefangen.

Urs Büchi: Da stimme ich dir nur teilweise zu. Dass ökologische Varianten nicht immer mehr Aufwand – und somit Unterhaltskosten – bedeuten, zeigt sich an Beispielen der Umgebungsgestaltung. Wo bei anderen Liegenschaften ein Rasen wäre, findet man bei uns an manchen Orten beispielsweise Magerwiesen. Deren Mahd zweimal jährlich ist zwar aufwendig, dafür fällt das noch viel regelmässigere Rasenmähen weg. Bei der Gartengestaltung achten wir zudem darauf, dass möglichst wenig Bewässerung notwendig ist. Der Einsatz heimischer Pflanzen hilft dabei.  

Portrait Urs Büchi

«Durch das Engagement der Bewohner:innen fallen die Nebenkosten geringer aus und der Aufwand für die Verwaltung ist kleiner. »

Urs Büchi, Leitung Facility Management Kraftwerk1 

Das klingt alles sehr einfach und logisch. 

Büchi: Wir bemühen uns, auf technisch möglichst einfache Lösungen zu setzen. Diese sind weniger fehleranfällig, einfacher zu warten und oft ressourcenschonender. Bei der Beleuchtung verzichten wir zum Beispiel auf ein digitales Beleuchtungsmanagement, auch wenn man damit noch letzte Energieoptimierungen herausholen könnte. Stattdessen sorgen wir dafür, dass die Beleuchtung insgesamt zurückhaltend installiert wird und Halogenleuchtmittel nach und nach durch LED ausgewechselt werden – und sparen damit Energie und Kosten.  

Liegt die nachhaltigste Lösung also immer auf der Hand?

Büchi: Nein, so einfach ist es nicht. Im Moment beschäftigt uns zum Beispiel ein grösseres Fenstersanierungsprojekt. Sollen nun gleich alle alten, zweifach verglasten Fenster des Gebäudes durch solche mit Dreifachverglasung ersetzt werden – auch die, die noch in gutem Zustand sind? Aus Energieeffizienzsicht vordergründig eine nachhaltige Lösung. Doch eine Studie zeigte, dass die graue Energie bei der Produktion von neuen Fenstern höher ist als die gewonnene Energieeinsparung durch bessere Isolation. Wäre schon beim Bau ein Metallrahmen für die Aussenseite evaluiert worden, hätten wir das Witterungsproblem nicht und das Wartungsintervall wäre grösser. Dies wäre am nachhaltigsten, aber mit höheren Baukosten verbunden gewesen.   

In den Bau- und Wohngenossenschaften auf dem Zwicky-Areal sind die Fassaden begrünt.

Hohe Wohnqualität mitten in einem Industriegebiet entsteht durch viele Begegnungsstätten und mit der Fassadenbegrünung. Bild: Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1

Die Kunst ist es also, die Nachhaltigkeit im Unterhalt bei der Bestellung, respektive bei der Planung schon mitzudenken.

Meier: Genau. Ein weiteres Beispiel ist die Fassadenbegrünung im Zwicky-Areal. Im ersten Anlauf wollten die Pflanzen nicht richtig wachsen. Der nachträgliche Ersatz des Substrats und die Neubepflanzung hat sich fürs Mikroklima der Siedlung und das Wohlbefinden der Bewohnenden gelohnt, war aber teuer. Mehrkosten, die bei besserer Planung und Realisierung im Bau hätten vermieden werden können. Der Einbau gewisser Systeme mit grossem ökologischem Nutzen ist nachträglich kaum umsetzbar, respektive bezahlbar, wie zum Beispiel der nachträgliche Einbau von Leitungen und Anlagen zur Trennung und partiellen Wiederaufbereitung des Abwassers.  

Gibt es gewisse Grundsätze, auf die ihr aus Unterhaltssicht achtet?

Büchi: Ja, beispielsweise involvieren wir unsere Genossenschafter:innen im Unterhalt der Grünflächen und des Aussenraums. Jede Siedlung hat eine Gruppe gebildet, die sich verantwortlich zeichnet und den Aussenraum praktisch autonom bewirtschaftet. Durch dieses Engagement der Bewohnenden fallen die Nebenkosten geringer aus, die Bedürfnisse sind der Siedlung angepasst und der Aufwand für die Verwaltung ist kleiner. Denn auch das sehe ich als sehr wichtig an: Dass Gebäude und Umgebung nachhaltiges Handeln der Bewohnenden möglich und attraktiv machen. Auch bei der Mobilität ist das ein grosses Thema – die Autofreiheit oder zumindest E-Mobilität durch die Infrastruktur zu begünstigen.  

Merkblatt ökologische Immobilienbewirtschaftung

Nachhaltigkeitspotenzial steckt nicht nur in baulichen Massnahmen beispielsweise bei energetischen Sanierungen, sondern auch im täglichen Unterhalt. Das Merkblatt Immobilienbewirtschaftung liefert Hintergrundwissen und Empfehlungen mit konkreten Kriterien für Produkte und Dienstleistungen. 

Haltet ihr ökologische Standards in Richtlinien fest – zum Beispiel bei der Beschaffung?

Büchi: Für Neubauprojekte haben wir baurechtliche Vorgaben zu erfüllen und wir haben unseren eigenen bauökologischen Kodex formuliert. Festgeschriebene Regeln zum ökologischen Unterhalt gibt es wenige, hauptsächlich ein internes Merkblatt für Mieterausbauten in der Wohnung. Darin wird verlangt, dass die Rückbaubarkeit gewährleistet ist und nichts Verklebtes und Lösemittelhaltiges zum Einsatz kommt. Ansonsten sehen wir von festgeschriebenen Richtlinien ab. Einerseits, weil die Mitarbeitenden im Facility Management – nicht zuletzt aufgrund der Soziokratie – eine grosse Selbstverantwortung tragen. Und andererseits, weil wir lieber flexibel die beste Lösung abwägen wollen und auch neue Lösungsansätze ausprobieren.  

Portrait Ariane Meier, Genossenschaft Kraftwerk1

«Es ist immer ein Abwägen. Einerseits aus Umweltsicht und andererseits aus Sicht unserer finanziellen Ressourcen.»

Ariane Meier, Vorstandsmitglied Ressort Ökologie und Innovation Kraftwerk1 

Was heisst das konkret?

Büchi: Das kann heissen, dass wir nicht stur die Geschirrspülmaschine mit der höchstmöglichen Energieeffizienz kaufen, wenn diese deutlich teurer als das nächstbeste Modell ausfällt. Dienstleister:innen aus der Region mit gegenseitiger Wertschätzung und ein Gerät, das auf das Nutzungsverhalten in der Wohnung abgestimmt ist, sind uns dann wichtiger. 

Meier: Da die Ökologie ein klares Ziel in unserer Ausrichtung ist, spielt sie grundsätzlich bei jeder Entscheidung eine Rolle – auch wenn wir aufgrund begrenzter Mittel nicht immer die nachhaltigste Variante wählen. Wichtig ist, dass wir die Kultur haben, uns vor einem Entscheid zu fragen: Was ist aus ökologischer Sicht sinnvoll?  

Es ist also ein stetiges Abwägen?

Meier: Genau. Einerseits aus Umweltsicht und andererseits aus Sicht unserer finanziellen und personellen Ressourcen. Hier gilt es zu priorisieren und die Entscheide den Bewohnenden verständlich zu kommunizieren. Für Bewohnende ist nicht auf Anhieb ersichtlich, warum wir beispielsweise erst die Waschmaschine mit dem neusten Gerätetyp ersetzen, bevor wir die Beleuchtung im Treppenhaus minimieren. 

Was würdet ihr in Zukunft anders machen? 

Büchi: Das Heizsystem überall so einrichten, dass jede Partei die Temperatur in ihrer Wohnung in einem gewissen Rahmen selbst regeln kann. Wo es keine Regler in den Wohnungen hat, ist die Raumtemperatur ein Dauerthema. Die einen finden es zu heiss oder wollen Energie sparen. Die anderen sagen, sie halten es unter 23 Grad im Homeoffice kaum aus. Auch wenn wir mit einer pauschal tief eingestellten Temperatur Energie sparen könnten, ist die Behaglichkeit der Bewohnenden wichtig. 

Welchen Tipp gebt ihr anderen Eigentümer:innen und Verwalter:innen von Immobilien für den ökologischen Gebäudeunterhalt? 

Büchi: Falls noch nicht angegangen, sind Verbesserungen bei der Energie auf jeden Fall die effektivste Weise, um einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Dazu gehört das Optimieren der Einstellungen bei Anlagen wie der Heizung und Lüftung. Wir konnten so schon einiges an Energieeffizienz herausholen. Beim Gemeinschaftsraum mit Küche reicht es, wenn die Lüftung ab und zu über Nacht läuft – statt dauernd. Und natürlich gilt es, die freien Flächen mit Photovoltaikanlagen zu bestücken und damit Energie für die Liegenschaft zu produzieren. 

Meier: Aus übergeordneter Sicht empfehle ich, die ökologische Nachhaltigkeit strategisch zu verankern. Das hilft enorm, um der Ökologie bei Entscheidungsprozessen einen genug hohen Stellenwert zu geben. So kommt man weiter als nur mit guten Absichten.  

Kraftwerk1: Siedlungsbau mit ökologischem Gebäudeunterhalt

Im Zürcher Koch-Quartier entsteht bereits die vierte Siedlung der Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1. Vielfältige Wohnungstypen sorgen für eine soziale und altersmässige Durchmischung.

Die Siedlungen setzen auf ökologische Lösungen, beispielsweise mit Strom von eigenen Solaranlagen, Fernwärme durch Wärmepumpe aus gereinigtem Abwasser (kalte Fernwärme), einer Abluftwärmepumpe mit Nachstromöffnungen in der Fassade für die Wassererwärmung zur Unterstützung der Heizung. Ein Teil der Siedlungen sind bewusst «autoarm» gestaltet, begünstigt durch ÖV-Anschluss, Mobility-Standorte und eine velofördernde Infrastruktur. Die Siedlung Koch wird autofrei.

Bereits bei der Planung von Siedlungen zieht Kraftwerk1 künftige Mieter:innen zu Nutzungen, Wohnformen oder Ökologie mit ein und bestimmt auch weiterhin gemeinsam mit ihnen die Weiterentwicklung.

 Titelbild: Thomas Haug


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