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«Partizipation führt zu mehr Akzeptanz und Engagement»

Nadine Siegle
Männer und Frauen unterschiedlichen Alters stehen um einen Tisch und begutachten ein Poster, das mitten auf dem Tisch liegt.

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7 Minuten Lesezeit

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Ist Partizipation aufwendig und komplex? Ja, aber der Aufwand lohne sich allemal, ist Joëlle Mastelic, Professorin an der HES-SO Valais-Wallis überzeugt. Im Interview spricht sie über gute Gemeindebeispiele und zeigt auf, wieso Städte und Gemeinden für eine klimafreundliche Zukunft Silos aufbrechen und partizipativ planen sollten.

Nadine Siegle im Gespräch mit Joëlle Mastelic

Sie beschäftigen sich als Wissenschaftlerin ausgiebig mit partizipativen Prozessen, insbesondere im Zusammenhang mit kommunalen Klimastrategien. Was raten Sie Gemeinden?

Joëlle Mastelic: Partizipation oder Co-Creation, wie wir sie nennen, kann in Gemeinden ganz unterschiedlich zur Anwendung kommen. Es kommt ganz darauf an, wo die Gemeinde steht. Bei den Klimazielen und -strategien gibt es vor allem zwei Ebenen: Zum einen die strategische Ebene der Klimaziele und Klimastrategien. Zum anderen die Ebene der konkreten Massnahmen, um die gesteckten Ziele zu erreichen.

Können Sie praktische Beispiele nennen?

Die Stadt Thun ist ein Beispiel für die Strategie-Ebene: Die Stadt hat im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts mit partizipativen Ansätzen eine Klimastrategie erarbeitet. Alle Thuner Stakeholder wurden zu Workshops eingeladen, um gemeinsam einen Weg zu Netto-Null bis 2050 zu zeichnen.

Joëlle Mastelic, Professorin an der HES-SO Valais-Wallis

«Wir empfehlen, möglichst früh auf Co-Creation zu setzen. Idealerweise schon auf der strategischen Ebene.»

Joëlle Mastelic, Professorin und Präsidentin des Vereins Energy Living Lab

In der Stadt Winterthur finden wir ein Beispiel für die Massnahmen-Ebene: Die Klimaziele und -strategie sind bereits festgelegt. Die Stadt weiss also, wohin sie möchte. Dann stellt sich als Nächstes die Frage, wie sie dorthin kommt. Winterthur entwickelt nun mit partizipativen Ansätzen konkrete Massnahmen, um gemeinsam die Klimaziele zu erreichen. Dazu nutzt die Stadt unter anderem die WinLab Co-Kreationsplattform. Wir empfehlen jedoch, so früh wie möglich auf Co-Creation zu setzen, um alle ihre Vorteile zu nutzen. Im Idealfall sind schon alle Stakeholder auf der strategischen Ebene mit im Boot.

Zur Person

Joëlle Mastelic ist Professorin an der HES-SO Valais-Wallis und Präsidentin des Vereins Energy Living Lab. Dieser ist ein Spin-off der Hochschule, das sich mit Living Labs (Reallabors), Innovation und Forschung rund um die Themen Energie und Nachhaltigkeit beschäftigt.

Welche Vorteile bringen die partizipativen Methoden?

Zwei der wichtigsten Vorteile der Co-Creation sind folgende:

  1. Sie trägt dazu bei, die Silos zwischen den verschiedenen kommunalen Abteilungen zu durchbrechen.

  2. Sie fördert das Engagement der Stakeholder. Denn deren Bedürfnisse werden von Anfang an einbezogen. Das führt zu einem stärkeren Engagement aller Beteiligten, was anschliessend besonders für die Akzeptanz konkreter Massnahmen sehr wertvoll ist. Damit steigen aber auch die Erwartungen an den Prozess und die Ergebnisse.

«In partizipativen Prozessen können potenzielle Hürden frühzeitig erkannt und adressiert werden.»

Joëlle Mastelic, Professorin und Präsidentin des Vereins Energy Living Lab

Gibt es auch Nachteile?

Ein Nachteil ist sicher, dass partizipative Methoden zu Beginn mehr Zeit brauchen als konventionelle. Doch dieser zusätzliche Aufwand zahlt sich aus: Der Prozess läuft insgesamt reibungsloser und potenzielle Hürden können frühzeitig erkannt und adressiert werden. So führt der anfängliche Mehraufwand langfristig zu nachhaltigeren und effektiveren Ergebnissen. In negativen Beispielen verursacht das Vorgehen ohne Partizipation langfristig sogar mehr Aufwand und Kosten.

Mehr Aufwand mangels Partizipation? Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir arbeiten mit einer Gemeinde, die eine Klimastrategie in klassischen Silos erarbeitet hat. Die Bedürfnisse der Stakeholder wurden nicht abgeholt, Hürden nicht abgebaut. Entsprechend tief war anschliessend das Engagement der Bevölkerung. Und schlimmer noch: Die Gemeinde war bei einem grossen Projekt im Wärmebereich mit starker Gegenwehr konfrontiert. Deshalb empfehlen wir, alle von Anfang an einzubeziehen, um eine gemeinsame Vision zu haben.

Zeit und Geld sind in Gemeinden aber Mangelware.

Das stimmt. Wir haben in einer Umfrage untersucht, was Gemeinden benötigen, um mehr Co-Creation zu ermöglichen. Das Ergebnis bestätigte: Zeit ist immer knapp. Gemeinden wünschen sich zudem statt theoretischer Informationen eher Hilfsmittel mit praktischen Tipps, um den komplexen Prozess zu starten, oder Beispiele aus anderen Schweizer Gemeinden.

Wo finden interessierte Gemeinden die praktischen Informationen?

Es ist unsere Aufgabe als Universität, verschiedene Ansätze mit einzelnen Gemeinden zu testen und die Erkenntnisse über Multiplikator:innen weiterzugeben, sodass alle davon profitieren können. Aus unseren Forschungsergebnissen des europäischen Forschungsprojekts «2iSECAP» ist eine ganze Sammlung an Hilfsmitteln entstanden, zum Beispiel kostenlose Videos, die Gemeinden einen einfachen Einstieg ins Thema bieten. Von EnergieSchweiz gibt es zudem einen Guide über die verschiedenen Formen der Partizipation (siehe Box). Ausserdem gibt es etliche Online-Partizipations-Plattformen, die dabei helfen, die Bevölkerung einzubeziehen. Um sich einen Überblick über diese Plattformen und ihre Funktionen zu verschaffen, ist im November 2024 ein Webinar geplant.

Sie haben das Projekt «2iSECAP» erwähnt, an dem auch die Stadt Thun beteiligt war. Was versteckt sich hinter diesem kryptischen Namen?

2iSECAP steht für «Institutionalized Integrated Sustainable Energy and Climate Action Plans». Es ist ein europäisches Forschungsprojekt, an dem neben der HES-SO Valais-Wallis viele verschiedene Akteur:innen beteiligt waren und das sich mit Co-Creation und partizipativer Planung für die Energiewende befasste. Das Projekt unterstützte während der letzten vier Jahre mehrere europäische Städte dabei, Energie- und Klimapläne, sogenannte «Sustainable Energy and Climate Action Plans» (SECAPs), auf integrierende Weise zu erarbeiten.

«Bei der Energiewende geht es nicht nur um die Ziele der Stadt. Die Klimaziele betreffen alle, auch die Einwohner:innen und Unternehmen in dieser Stadt.»

Joëlle Mastelic, Professorin und Präsidentin des Vereins Energy Living Lab

Das tönt kompliziert. Was war das Ziel von 2iSECAP?

Ein wichtiges Ziel des Projekts war und ist es, Silos zu durchbrechen. In Städten ist es nicht unüblich, dass jede Abteilung unabhängig voneinander ihre eigene Planung macht, zum Beispiel der Verkehr, das Gebäudemanagement und die Abteilung für Energiethemen. Mit dem Forschungsprojekt wollten wir Methoden entwickeln und eine Roadmap erarbeiten, um solche kommunalen Pläne verschiedener Sektoren in einem SECAP zusammenzubringen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt – neben der Zusammenarbeit innerhalb der Verwaltung – ist der Einbezug der Bevölkerung. Denn bei der Energiewende und den Klimazielen geht es nicht nur um die Ziele der Stadt oder ihrer Abteilungen. Diese Ziele betreffen schliesslich alle, auch die Einwohner:innen und Unternehmen in der jeweiligen Stadt. Deshalb haben wir Methoden getestet, wie Gemeinden die wichtigsten Stakeholder in die Planung einbeziehen können.

Titelbild: National Open Innovation Camp, Etienne Bornet, 2024 


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