Gemeinde
Biodiversität
Praxisbeispiel

«Die Biodiversität ist ein integraler Bestandteil unserer Arbeit»

Priska Messmer
Ein Gewässerwart steht mit seinem Lieblingsgerät, dem Metrac, vor einem Bach.

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7 Minuten Lesezeit

Biodiversität

Praxisbeispiel

Bruno Jüngling arbeitet im Kanton Zürich als Gewässerwart. Gemeinsam mit seinem Team ist er für rund 100 Kilometer Fliessgewässer verantwortlich. Wir haben ihn bei seiner Arbeit begleitet und mit ihm über seine Aufgaben, Herausforderungen und seine Faszination für Bäche, Biberspuren und Böschungsmäher gesprochen.

Priska Messmer im Gespräch mit Bruno Jüngling

Herr Jüngling, wo genau sind Sie tätig?

Bruno Jüngling: Ich arbeite im Gewässerunterhalt des Kantons Zürich. Unser Hauptgewässer ist die Glatt, vom Greifensee bis zur Mündung in den Rhein. Daneben betreuen wir kleinere Bäche wie den Chriesbach, Altbach oder Chiemlibach und zwei Rückhaltebecken – insgesamt fast 100 Kilometer. Unser Team besteht aus elf Personen: Zehn draussen, unser Chef hauptsächlich im Büro. Ich bin einer von zwei Vorarbeitern. Wir planen, koordinieren und packen selbst mit an. Ich bin wetterfest und gerne draussen, das ist mir wichtig.

Bruno Jüngling

«Wir versuchen, für die Natur das Beste herauszuholen.»

Bruno Jüngling, Gewässerwart, Kanton Zürich

Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?

Ursprünglich war ich Schreiner, habe dann Forstwart gelernt und in der Spezialholzerei mit schweren Maschinen gearbeitet. Per Zufall bin ich beim Gewässerunterhalt gelandet und nun schon 12 Jahre dabei. Ein echter Glückstreffer! Die Arbeit ist mega vielseitig und ich bin in einem riesigen Gebiet unterwegs, das ich richtig gut kennenlernen durfte. Das gefällt mir sehr.

Blick ins Büro des Gewässerunterhalts inkl. Karte mit Gewässerabschnitten.

Bruno Jüngling und Team sind bei rund 100 Kilometern Fliessgewässer für den Gewässerunterhalt verantwortlich.

Was genau macht ein:e Gewässerwart:in?

Unsere Hauptaufgabe ist der Hochwasserschutz. Dafür unterhalten wir sämtliche Böschungen – das umfasst das Mähen, Zusammenrechen und Abführen des Mähgutes. Die Mäharbeiten braucht es für eine gut durchwurzelte, dichte Grasnarbe, die auch einmal einem Hochwasser standhält. Gleichzeitig achten wir auf die Biodiversität: Wir lassen Restmahd stehen und wechseln jährlich den Startpunkt der Mäharbeiten, damit sich Lebensräume unterschiedlich entwickeln können. Wir arbeiten, wenn immer möglich, mit Kleinstrukturen, erstellen zum Beispiel Asthaufen und Reptilienburgen.

Im Winter steht die Hecken- und Baumpflege an. Wir schneiden Bäume und Sträucher zurück, damit sie nicht in Wege wachsen. Auch hier sorgen wir für mehr Artenvielfalt, indem wir schnellwachsende Gehölze zurückdrängen und langsam wachsende fördern. Ausserdem machen wir von Mai bis September kleinere Verbauungen oder fischereiliche Aufwertungen – teils im Gewässer, aber auch am Ufer. Dafür nutzen wir ingenieurbiologische Massnahmen (siehe auch Artikel «Ingenieurbiologische Bauweisen für lebendige Gewässer»). Daneben bewirtschaften wir Strassen und legen Sitzbänke und Feuerstellen an. So gestalten wir einen lebenswerten Naherholungsraum für Mensch und Natur.

«Unsere Gewässer und deren Ufer bergen immenses ökologisches Potenzial. Mit guter Pflege kann man sehr viel bewirken.»

Bruno Jüngling, Gewässerwart, Kanton Zürich

Ein Stein- und ein Heihaufen an einer Böschung an einem Bach.

Ein Steinhaufen am Chriesbach bietet Lebensraum für Amphibien und Reptilien.

Wie wichtig ist die Biodiversität in Ihrer Arbeit?

Extrem wichtig, sie ist ein integraler Bestandteil. Das ist nicht nur eine Weisung des Kantons, wir stehen da voll dahinter. Als ich beim Gewässerunterhalt anfing, wusste ich nur begrenzt etwas darüber – heute ist es mein Hauptantrieb, unseren Auftrag so zu erfüllen, dass ein möglichst grosser Mehrwert für die Natur entsteht.

Unsere Gewässer und deren Ufer bergen immenses ökologisches Potenzial, gerade für die Längsvernetzung. Es ist unglaublich, wie viel man mit guter Pflege bewirken kann. Natürlich müssen wir auch effizient sein – das Gebiet ist gross – aber wir versuchen immer, das Beste für die Natur herauszuholen. Trotzdem würde ich manchmal gerne noch differenzierter pflegen können, das ist aus Kapazitätsgründen aber leider nicht möglich.

«Präzisionsarbeit im Multitasking!»

Bruno Jüngling, Gewässerwart, Kanton Zürich

Was sind Ihre liebsten Tätigkeiten als Gewässerwart?

Ich mag eigentlich alle Aufgaben. Speziell gefallen mir die Maschinen. Ich arbeite gerne mit dem Metrac-Hanggeräteträger, quasi ein Gelände-tauglicher Gokart. Nach dem Mähen montiere ich den Bandrechen, fahre dem Gewässer entlang und reche das geschnittene Heu zu einer Mahd zusammen. Ziel ist, möglichst viel Heu aufzunehmen, damit nicht mehr viel von Hand mit dem Rechen nachgearbeitet werden muss. Gleichzeit muss ich darauf achten, die Mahd so anzulegen, dass der Ladewagen hinter mir das Heu gut aufnehmen kann, nicht auf der Böschung abrutscht und nirgends von Hindernissen gestoppt wird – das ist Präzisionsarbeit im Multitasking!

Was sind die grössten Herausforderungen im Arbeitsalltag?

Der Austausch mit vielen Partner:innen: Gemeinden, Fachstellen, Landwirt:innen, Passant:innen. Er ist zwar sehr wertvoll, aber jede:r hat andere Interessen. Wir versuchen, alle einzubeziehen. Manchmal fehlt aber das Verständnis für unsere Arbeit oder für ökologische Zusammenhänge. Und auch schwierige Einsätze gehören dazu – wenn etwa einmal eine Wasserleiche gefunden wird. Damit muss man lernen, umzugehen.

Bruno Jüngling

«Ich weiss, wofür ich arbeite, wenn Libellen wieder auftauchen, Orchideen blühen oder sich ein Fischbestand erholt.»

Bruno Jüngling, Gewässerwart, Kanton Zürich

Sie sprechen mit grosser Begeisterung über Ihre Arbeit. Was motiviert Sie besonders?

Ich habe ein super Team, ein spannendes, vielfältiges Gebiet und das Gefühl, dass meine Arbeit konkret etwas bewirkt – für Tiere, Pflanzen und die Menschen, die unsere Gewässer als Naherholungsraum nutzen. Besonders schön finde ich, dass ich Veränderungen über Jahre beobachten kann. Wenn Libellen wieder auftauchen, Orchideen blühen oder sich ein Fischbestand erholt, dann weiss ich, wofür ich arbeite.

Gibt es besondere Tier- oder Pflanzenbeobachtungen?

Viele! Unterhaltsam war eine Bibermutter, die ihr Junges geschickt im Maul transportierte und durchs Gewässer geleitete. Auch Eisvögel, Libellen, Flusskrebse und Hechte begegnen uns im Arbeitsalltag. Bei den Pflanzen sind Orchideenarten wie Frauenschuh, Bocksriemenzunge oder Bienenragwurz echte Highlights. Und dann gibt es da noch den flutenden Hahnenfuss, der in der Glatt regelrechte Teppiche bildet – ein ganz spezieller Anblick.

Tiere wie der Biber bringen aber auch Mehrarbeit mit sich… ?

Ja, der Biber gibt uns ganz schön zu tun. Aber er ist für mich der wichtigste Ingenieur am Gewässer. Wenn genug Platz ist, lassen wir ihn wirken. Er schafft neue Lebensräume und verändert ganze Landschaften – das fasziniert mich. Natürlich müssen wir seine Bauwerke beobachten. Staut er zu stark, kann das Wege oder Leitungen gefährden. Dann suchen wir Lösungen im Austausch mit Fachstellen und Gemeinden. Aber grundsätzlich gilt: Der Biber tut dem Gewässer gut.

Ein Mann des Gewässerunterhalts in orange zeigt auf das Gewässer - im Hintergrund befindet sich ein Biberdamm.

Biberdamm gesichtet! Der tierische Gewässeringenieur sorgt zwar für Mehrarbeit, hilft aber gleichzeitig, die Gewässer vielfältig zu gestalten.

Was braucht es, um den Beruf als Gewässerwart gut ausüben zu können?

Ein gutes, vielseitig interessiertes Team ist das A und O. Jeder bringt eine eigene Perspektive, ein eigenes Steckenpferd hinein – seien das Pflanzen, Fische oder Maschinen. Auch unser Fuhrpark ist top ausgerüstet. Das ist eine wichtige Grundlage und spart Zeit und Energie. Ausserdem brauchen wir die Rückendeckung und das Know-how unserer Fachleute beim Kanton, die uns zur Seite stehen und bei Fragen unterstützen.

Zwei Männer rechen an einer Böschung Gras zusammen.

Gutes Teamwork ist für Bruno Jüngling matchentscheidend.

Was würden Sie jemandem sagen, der sich für den Beruf interessiert?

Mach’s! Wenn du gerne draussen bist, mit anpackst und dir die Natur am Herzen liegt, dann ist das ein toller Job. Du siehst, was du bewirkst, arbeitest mit Natur und Technik, bist ständig unterwegs und lernst immer Neues dazu. Für mich ist es mehr als ein Beruf – es ist eine Aufgabe mit Sinn.


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