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Grün-blau-bunt: Regenwasser als Grundlage für biodiverse Siedlungsräume

Silvia Oppliger
Retentionsbecken in einer Wohnsiedlung

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5 Minuten Lesezeit

Biodiversität

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Ein guter Umgang mit Regenwasser für biodiverse Siedlungsräume wird immer wichtiger, gerade mit Blick auf die zunehmenden heissen und trockenen Sommer. Gleichzeitig gilt es, sich für Starkregen zu wappnen. Höchste Zeit also, dass Gemeinden und Städte ihr Wassermanagement neu ausrichten.

Der letzte Hitzesommer, der schneearme Winter und der trockene Frühherbst im Mittelland haben uns wieder einmal vor Augen geführt, dass die Ressource Wasser auch im Wasserschloss Europas kein im Überschuss vorhandenes Gut ist. Der Klimawandel hat sich in diesen Jahren stärker bemerkbar gemacht. In Zukunft ist mit häufigeren und länger dauernden Hitzeperioden und Trockenheit, aber auch mit intensiveren Starkregen zu rechnen.

Regenwassermanagement heute und morgen

Das Wasser und insbesondere das Regenwasser verschwand während der letzten Jahrzehnte immer stärker aus den Siedlungen. Böden wurden versiegelt und der natürliche Wasserkreislauf unterbrochen. Das Regenwasser versickerte unterirdisch in Sickerschächten oder wurde über Leitungen aus den Siedlungen herausgeführt. Auch das Grün verschwand mit der zunehmenden Versiegelung immer mehr aus dem Siedlungsraum. Stadtbäume leiden unter zu knapp bemessenen Wurzelräumen, einer mangelhaften Regenwasserzufuhr und unter der Hitzeabstrahlung der versiegelten Flächen rundherum.

Ein bewussterer Umgang mit Regenwasser und eine wassersensible Gestaltung unserer Siedlungen ermöglichen es, die Auswirkungen des Klimawandels auf unseren Lebensraum zu mildern. Das Regenwasser soll dort, wo es anfällt, aufgenommen und zwischengespeichert werden, sodass es verzögert verdunsten, versickern oder genutzt werden kann – ganz nach dem «Schwammstadt»-Prinzip. Indem man das Regenwasser möglichst an der Oberfläche hält und führt, wird der natürliche Lauf des Wassers für alle sicht- und erlebbar. Die Kanalisation wird entlastet und es gibt weniger Schmutzstoffeinträge in die Gewässer sowie Schäden bei Starkniederschlägen.

Ein Siedlungsraum für alle

Mit der Umsetzung der «Schwammstadt» werden Beton- und Asphaltwüsten definitiv Geschichte. Siedlungen werden in lebenswerte, grün-blau-bunte Oasen transformiert. Dabei steht «grün» für die Vegetation, «blau» für Wasser und «bunt» für naturnahe Flächen zur Förderung der Biodiversität. Verschiedene oberflächige Elemente können dafür zum Einsatz kommen:

Wasserläufe und Wasserflächen mit Einstau-Funktion: Offene, naturnahe Wasserläufe und künstlich angelegte naturnahe Wasserflächen mit zusätzlicher Einstau-Funktion brechen Hochwasserspitzen und bieten Erholungsraum für den Menschen. Zusammen mit einer naturnahen Regenwasserbewirtschaftung tragen sie bei Starkregen dazu bei, Schäden zu minimieren, und sorgen dafür, dass der Vegetation bei Trockenperioden genügend Wasser zur Verfügung steht. Wasserläufe mit ihren biodiversen Uferbereichen stellen zudem wichtige Vernetzungsachsen der Ökologischen Infrastruktur dar.

Ein grosses Teichbecken neben einem Haus.

Ein Retentionsbecken in der Überbauung Parco Casarico in Sorengo (TI). Bild: Igor Ponti

Nicht versiegelte Oberflächen: Durchlässige Oberflächen ermöglichen die Anreicherung des Grundwassers. Sie entschärfen Hochwassersituationen und entlasten die Kanalisation. Bereits kleine Flächen können etwa als Ruderalflächen oder Wildstaudenbeete die Biodiversität fördern.

Stadthaus mit biodiverser Wildstaudenfläche vornedran.

Ruderalflächen in der Fussgängerzone in Bern Bümpliz. Bild: Silvia Oppliger

Grüne Flächen als multifunktionale Sickermulden: Bäume, Sträucher und Grünflächen verdunsten Wasser und geben Schatten. So tragen sie bei Hitze zu einem angenehmen Klima bei. Insbesondere nicht unterbaute Grünflächen sind wertvoll, da hier Regenwasser versickern kann und Bäume genügend Wurzelraum finden.

Platz inmitten einer familiären Siedlung mit viel Grün.

Eine Sickermulde mit Mehrwert in einer Baugenossenschaft. Bild: Max Maurer

Begrünte Dächer und Fassaden: Sie reduzieren Oberflächentemperaturen, erhöhen den Wasserrückhalt, fördern die Biodiversität und binden Feinstaub.

Ein üppig begrüntes Flachdach, umgeben von anderen Häusern und einer bergigen Landschaft.

Üppig begrüntes Flachdach des Kantonsspitals Uri in Altdorf. Bild: Paul Sicher

Viele der oberflächigen Elemente können mit einer durchdachten Umsetzung die Biodiversität fördern. Es entstehen vielfältige Lebensräume und Strukturen. Eine standortangepasste Pflanzenauswahl garantiert, dass Pflanzen, Nützlinge und Bestäuber hier Habitate finden. Durch das so geschaffene Mehr an Natur in der Siedlung wird die Wohn- und Arbeitsumgebung attraktiver und das Wohlbefinden der Bevölkerung steigert sich.

Wasser und Biodiversität gemeinsam planen

Um Siedlungsräume so zu gestalten, können wir auf verschiedenen Ebenen die Hebel ansetzen: Sei es in der übergeordneten Nutzungsplanung, indem wichtige Grundsätze zur Freiraumplanung, Biodiversitätsförderung und Regenwasserbewirtschaftung festgelegt werden. Oder auf der Ebene jedes einzelnen Projekts, unabhängig von seiner Grösse.

Neubauten bieten die Möglichkeit, das Regenwassermanagement von null auf neuzudenken und mit einer vielfältigen Kombination der oben genannten Elemente einen möglichst naturnahen Wasserhaushalt mit all seinen Vorzügen zu erreichen. Dabei ist es unabdingbar, frühzeitig gemeinsam zu planen. Blau und Grün muss gemeinsam gedacht und standortgerecht entwickelt werden. Sickermulden, in denen bei jedem Regenereignis Wasser anfällt, können zum Beispiel als Feuchtwiesen konzipiert werden. Einstaubare Flächen, welche nur bei seltenen Regenereignissen alle paar Jahre einmal geflutet werden, können auch als Trockenstandorte ausgebildet werden.

Potenzial im Bestand

Auch im Bestand sind viele Anpassungen möglich: Parkplätze lassen sich wasserdurchlässig gestalten. Auf Flächen mit Rasengittersteinen sind teilweise bis zu 15 Pflanzenarten pro Quadratmeter zu finden, darunter auch seltene und regional gefährdete Arten.

Ausserhalb der Gebäude geführte Fallleitungen für Dachwasser können mit wenig Aufwand von der Kanalisation abgekoppelt und in bestehende Grünflächen eingeleitet werden.

Oft reicht es, den Grund um einige Zentimeter abzusenken, um genügend Retentionsvolumen auch für mittelstarke Regen zu schaffen. Die Ränder von multifunktionalen Mulden oder naturnahen Entwässerungsgräben können als Krautsäume ausgebildet werden und als Übergang zwischen verschiedenen Lebensräumen vielen Arten Schutz bieten.

Eine Gemeinschaftsaufgabe

Eine biodiversitätsfördernde und wassersensible Siedlungsentwicklung gelingt, wenn alle an der Planung Beteiligten von Beginn weg an einem Strang ziehen. Planung ist eine Gemeinschaftsaufgabe und setzt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Ressorts und aller Fachdisziplinen in den Gemeinden voraus. Zu oft werden Biodiversität, Freiraum, Verkehr und Entwässerungsplanungen nicht als Gesamtkonzept, sondern als Stückwerk erstellt und scheitern am «Silodenken». Wird das Regenwasser als Ressource für das Grüne und Bunte in jeder Planung von Anfang an mitgedacht, vom leichten Nieselregen bis zum Überlastfall, ermöglicht das klimaresistentere Siedlungen – ein Gewinn für alle.

Ressourcen für die Planung

Zur Unterstützung bei der Gestaltung klimaresilienter Siedlungen haben viele verschiedene Akteur:innen unter der Leitung des Verbands Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) die strategische Initiative «Schwammstadt» ins Leben gerufen. Das Projekt bietet Erfahrungsaustausch, Webinare und Weiterbildungen sowie Good-Practice-Beispiele. Die Projektmitglieder bringen sich bei der Erarbeitung und Aktualisierung von Regelwerken ein und lancieren neue Werkzeuge zur Unterstützung von Behörden und Planenden, wie etwa eine Sammlung von Muster-Textbausteinen für Nutzungsplanungen, Bauordnungen und Ähnliches oder eine Empfehlung zum parzellenübergreifenden Regenwassermanagement. Informationen, Beispiele und Werkzeuge werden ab Anfangs 2024 auf www.sponge-city.info dem breiten Publikum zur Verfügung stehen.

Titelbild: Igor Ponti


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