Mit Speed-Dating zu mehr Gebäudesanierungen
Wie können Gemeinden private Hauseigetümer:innen für Sanierungsprojekte begeistern? Um diese Frage zu beantworten, haben fünf Pilotgemeinden in einem Forschungsprojekt massgeschneiderte Partizipationsprozesse getestet. Ein Blick in die Aargauer Stadt Baden zeigt, wie ein «Speed-Dating» für Gebäudesanierungen funktioniert.
Gebäude verursachen etwa einen Viertel der Treibhausgas-Emissionen und 40 Prozent des Energieverbrauchs in der Schweiz. Um die Klimaziele zu erreichen, müssten in der Schweiz jährlich zwei bis drei Prozent der bestehenden Gebäude energetisch saniert werden. Aktuell liegt die tatsächliche Sanierungsrate trotz Förderprogrammen allerdings nur bei rund einem Prozent.
Die Mehrheit der Wohngebäude befindet sich in Privatbesitz. Damit Städte und Gemeinden ihre Sanierungsrate erhöhen und die Treibhausgas-Emissionen langfristig senken können, müssen sie also Eigentümer:innen zu Sanierungsvorhaben motivieren. Aber wie?
Forschungsteam entwickelt Speed-Dating-Prozess
Im Rahmen des Forschungsprojekts SAN-CH hat ein Forschungsteam im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE) in fünf Pilotgemeinden je einen massgeschneiderten Beteiligungsprozess durchgeführt. Beteiligt waren die Gemeinden Baden (AG), Glarus (GL), Winterthur (ZH) sowie die Genfer Gemeinden Bernex und Confignon (siehe Box zum Projekt SAN-CH).
Ein wichtiger Teil des Prozesses war ein «Speed-Dating» für Gebäudeeigentümer:innen und Fachpersonen. Die Gemeinden luden die Eigentümer:innen von besonders sanierungsbedürftigen Liegenschaften zu einer Veranstaltung mit Sanierungsberatung ein. Am Vermittlungsanlass hatten die Hauseigentümer:innen die Gelegenheit, während eines je fünfminütigen Gesprächs verschiedene Sanierungsfachperson kennenzulernen. Passte der «Match», so erarbeiteten die Parteien anschliessend ein energetisches Sanierungsgrobkonzept für die entsprechende Liegenschaft.
Leitfaden
Der Leitfaden «Sanieren beschleunigen – Leitfaden für eine höhere Sanierungsrate» zeigt Städten und Gemeinden basierend auf den Erfahrungen aus dem Projekt SAN-CH Handlungsmöglichkeiten auf, um eine beschleunigte Bestandssanierung zu unterstützen. Er enthält Best-Practice-Beispiele sowie detaillierte Erfahrungswerte zu den umgesetzten Formaten.
Blick nach Baden
Die Stadt Baden hat im Energiekonzept das Ziel definiert, die Sanierungsrate zu erhöhen – unter anderem durch kostenlose Energieberatungen. Vom Projekt SAN-CH erhoffte sich Baden neue Werkzeuge für den Dialog mit Eigentümer:innen von sanierungsbedürftigen Liegenschaften.
In einem ersten Schritt wurde für fast 2'400 Badener Wohngebäude ein Sanierungsindex basierend auf Daten zu Baujahr, Energieträger, Energieverbrauch und Sanierungsstand erstellt. Auf dieser Basis konnten die Gebäude mit dem grössten Sanierungsbedarf identifiziert werden. Die meisten davon wurden zwischen 1950 und 1980 erbaut und heizen derzeit noch mit Öl.
Die Eigentümer:innen dieser Gebäude wurden angeschrieben und für weitere Projektschritte eingeladen. Insgesamt meldeten sich sechs Prozent der Angeschriebenen zum Projekt an, hauptsächlich Eigentümer:innen von Einfamilienhäusern.
55 Hauseigentümer:innen lernten im Speed-Dating passende Sanierungsfachleute kennen.
An der anschliessenden Vernetzungsveranstaltung mit Speed-Dating und einem Marktplatz nahmen 55 Eigentümer:innen teil. Ausserdem waren 22 Vertreter:innen von passenden Fachunternehmen vor Ort. Zu Beginn der Veranstaltung erläuterte der städtische Energie-Koordinator die Ziele und Aktivitäten der Stadt Baden im Bereich der energetischen Sanierung.
Dann begann das eigentliche Speed-Dating. Es gab acht Runden mit acht Minuten Gesprächszeit. Jede Gebäudeeigentums-Partei absolvierte insgesamt drei dieser Speed-Datings. Parallel dazu konnten sich die Eigentümer:innen auf dem Marktplatz an betreuten Infoständen der Fachunternehmen informieren.
Was passiert nach dem Speed-Dating?
Die Eigentümer:innen und Fachleute wurden aufgefordert, im Nachgang gemeinsam weiterführende Massnahmen (zum Beispiel Beratungstermin, GEAK+ oder Offerte) für die Sanierung der betreffenden Liegenschaften anzugehen.
Innerhalb von sechs Monaten nach der Veranstaltung ergriffen 23 Prozent der Teilnehmenden gemeinsam mit einer Fachperson weiterführende Massnahmen. Weitere 12 Prozent standen im Austausch mit einer Fachperson, ohne dass konkrete Massnahmen ergriffen wurden.
Die Stadt Baden zieht ein positives Fazit aus dem Projekt. Bei der Auswertung zeigte sich, dass der Grossteil der Eigentümer:innen vom Projekt profitieren konnte, indem sie...
eine Sanierungsabsicht fassten oder darin bestärkt wurden,
neues Fachwissen erlangten oder
ein Sanierungsanliegen vorantreiben konnten.
Tipps aus dem Forschungsprojekt
Die Partizipationsprozesse in den fünf Pilotgemeinden sind zwar unterschiedlich verlaufen, zeigen aber auch gemeinsame Erfolgsfaktoren für andere Gemeinden auf:
Eigentümer:innen von Gebäuden mit hohem Sanierungspotenzial direkt per Brief einladen
Anknüpfen an politische Aktualität und Fokussierung auf bestimmte Quartiere
Vernetzung von Gebäudeeigentümer:innen mit Fachpersonen entsprechend ihren Bedürfnissen
Geeignete Angebote für jeden Kenntnisstand (Vermittlung von «Anfänger:innen» eher an Fachleute der Energieberatung, von «Fortgeschrittenen» eher an Architekturbüros und Handwerksbetriebe)
Fachpersonen, die nach der Veranstaltung aktiv auf die Eigentümer:innen zugehen
Präsenz von Gemeindevertreter:innen im Vermittlungsprozess
Projekt SAN-CH
Im Rahmen des Forschungsprojekts SAN-CH wurde untersucht, wie die Sanierungsrate in der Schweiz durch das Zusammenbringen von Eigentümer:innen und Fachleuten erhöht werden kann. Dabei standen vor allem «weiche» Faktoren wie Kommunikation und Partizipation im Vordergrund. Durch die Zusammenarbeit zwischen Eigentümer:innen, Energie-Fachleuten, lokalen Energiedienstleistungsunternehmen und kommunalen Verwaltungen sollten in frühen Phasen ganzheitliche Sanierungsideen entwickelt werden.
Konkret hat das Projektteam in Baden, Glarus, Winterthur und in den Genfer Gemeinden Bernex und Confignon basierend auf einer Analyse des Gebäudebestands jeweils einen massgeschneiderten Beteiligungsprozess entwickelt, durchgeführt und evaluiert. Die Erfahrungen wurden im Leitfaden «Sanieren beschleunigen – Leitfaden für eine höhere Sanierungsrate» sowie im Schlussbericht des Projekts SAN-CH zugänglich gemacht. Die Beratungsunternehmen Intep – Integrale Planung GmbH und Weinmann Energies SA führten das Projekt im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE) durch.
Titelbild: Intep – Integrale Planung GmbH