«Facebook eignet sich sehr gut für die Behördenkommunikation»
Die Social-Media-Kanäle sind aus der Kommunikation der Stadt Winterthur heute kaum mehr wegzudenken. Der Weg dahin war allerdings nicht frei von Bedenken. Die Erfahrungen während und nach der Testphase zeigen aber: Noch nie war die Stadt so nah am Puls der Bevölkerung.
Seit Mai 2018 publiziert die zentrale Kommunikationsstelle der Stadt Winterthur (ZH) über Facebook alles, was die Bevölkerung interessieren könnte – von wichtigen Meldungen bis zu niederschwelligen Videos. Auch die Umweltkommunikation darf nicht fehlen. «Der Stadtrat hat den Umweltschutz als einen politischen Schwerpunkt definiert. Entsprechend präsent ist das Thema auch auf unseren sozialen Medien», betont Peter Weber, Kommunikationsbeauftragter der Stadt Winterthur.
Raus aus der «Twitterbubble»
Winterthur zählt über 115‘000 Einwohner:innen. Die Erwartungen von Politik und Bevölkerung an die Kommunikation und digitale Präsenz der sechstgrössten Stadt der Schweiz sind in den letzten Jahren stark gestiegen. «Der Druck von aussen wurde immer grösser. Zudem hatten gewisse Organisationseinheiten bereits eigene Facebook-Accounts und machten gute Erfahrungen», so Weber.
«Der Stadtrat hat den Umweltschutz als einen politischen Schwerpunkt definiert. Entsprechend präsent ist das Thema auch auf unseren sozialen Medien.»
– Peter Weber, Kommunikationsbeauftragter der Stadt Winterthur
Bereits seit 2008 informiert die Stadt über Twitter. Die Kommunikation beschränkt sich dort aber grösstenteils auf Medienmitteilungen. «Wir erreichen mit dem Account die typische Twitterbubble aus Journalisten, Gemeinderäten und Personen aus dem Umfeld der Verwaltung.» Der Kanal eigne sich gut für die Krisenkommunikation. Doch es zeigte sich: Twitter allein ist nicht genug.
Mitdiskutieren statt zuschauen
«Heutzutage informieren sich die meisten Leute online, auch auf Social Media. Und es besteht das Bedürfnis, die Stadt auch so zu erreichen und Meinungen, Wünsche und Anliegen mit uns zu teilen.» Wenn in anderen Facebook-Gruppen ohnehin schon über Winterthur diskutiert würde, wieso nicht selbst in die Diskussion einsteigen? Ein weiteres Argument war die Medienkrise: «Der klassische Tages- und Lokaljournalismus steht stark unter Druck. Die Zukunft der Zeitungen ist ungewiss. Wir wussten damals nicht, wie wir die Bevölkerung ohne Lokalzeitung erreichen würden», so Weber. Die zentrale Kommunikationsstelle der Stadt kam schliesslich im Frühling 2018 zur Überzeugung, dass Winterthur ein Facebook-Profil brauche.
Berührungsängste abbauen
In einem ersten Schritt fand ein Austausch mit den Kommunikationsverantwortlichen der einzelnen Abteilungen statt. Der Runde Tisch brachte Bedenken zutage, die es auszuräumen galt:
Zeitaufwand: Digitale Präsenz verlangt Ressourcen. «Wir sind alle im Tagesgeschäft stark eingebunden. So stellte sich die Frage, ob wir genug Kapazitäten für die Facebook-Kommunikation hätten», erinnert sich Weber. Deshalb wurde die Aufgabe auf mehrere Personen aufgeteilt, sodass pro Person nur alle paar Wochen ein Beitrag anfällt. «Zudem versuchten wir von Anfang an, uns nicht zu hohe Ziele zu setzen. Es muss nicht täglich ein neuer Beitrag publiziert werden.»
Fehlendes Know-how: Gemeinsame Workshops mit externer Unterstützung, Weiterbildungen wie etwa eine Einführung zu Smartphone-Videos und der Erfahrungsaustausch mit anderen Städten sollten Abhilfe schaffen.
Angst vor Reaktionen: Der Austausch mit Städten, die bereits mehr Social-Media-Erfahrung mitbrachten, wie Luzern, St. Gallen oder Basel, habe dagegen geholfen, so Weber. «Die Rückmeldungen waren durchgehend positiv. Die sozialen Medien sind aus der Kommunikation dieser Städte nicht mehr wegzudenken.» Neben dem Social-Media-Konzept erarbeitete die Kommunikationsstelle für den Fall der Fälle aber auch Richtlinien zum Umgang mit einem möglichen Shitstorm.
Feuerprobe mit Feuerverbot
Die Kerngruppe Social Media startete die viermonatige Pilotphase. Nach einer ersten Besprechung konnten die Beteiligten «einfach mal machen» und Erfahrungen sammeln. Bereits nach kurzer Zeit schlossen sich auch die zwei noch nicht vertretenen Departemente der Kerngruppe an.
«Ob ein Beitrag geteilt wird oder nicht, hat nicht unbedingt damit zu tun, ob wir ihn aus Sicht der Stadt für inhaltlich wichtig halten.»
– Peter Weber, Kommunikationsbeauftragter der Stadt Winterthur
Ein wichtiger Moment in der Testphase kam im Sommer, als die Stadt an einem Freitagnachmittag so schnell wie möglich ein Feuerverbot kommunizieren musste. «Die Meldung erreichte über Facebook innerhalb von 24 Stunden über 30‘000 Leute – ein Vielfaches unserer eigentlichen Followerzahl», berichtet Weber. Der Kanal hatte die Feuerprobe bestanden.
Zusatzaufwand lohnt sich
Sowohl in der Testphase als auch in den über zwei Jahren, die seither vergangen sind, konnte die Social-Media-Kerngruppe wichtige Erfahrungen sammeln:
Aufwand gehört dazu: Inhalte auf Facebook ansprechend zu gestalten, ist zeitintensiv; das Bewirtschaften des Kanals und die Moderation von Kommentaren ebenso. Mit dem Entscheid nach der Testphase, den Facebook-Kanal für die städtische Kommunikation weiter zu nutzen, wurden auch zusätzliche Ressourcen (60 Stellenprozent) beantragt – allerdings ohne Erfolg. Das Kernteam führte das Profil vorerst mit den existierenden Kapazitäten weiter.
Leichte Kost: Beiträge, in denen es «mänschelet», kämen immer gut an, berichtet Weber. In Winterthur waren das zum Beispiel Berichte von Feuerwehreinsätzen zur Tierrettung oder Videoporträts von städtischen Mitarbeitenden. «Ob ein Beitrag geteilt wird oder nicht, hat nicht unbedingt damit zu tun, ob wir ihn aus Sicht der Stadt für inhaltlich wichtig halten.»
Aktive Stadt: Wenn Winterthur ein neues, als innovativ wahrgenommenes Angebot lanciere oder auf ein Bedürfnis der Bevölkerung eingehe, dann komme dies auf Social Media immer gut an. Wie zum Beispiel die Mitteilung, dass die Stadtgärtnerei Blumen zum Selberschneiden im Stadtgarten anbiete.
Je konkreter desto besser: Sowohl in der Umweltkommunikation als auch in anderen Bereichen gilt es, abstrakte Themen mit konkreten Inhalten und Beispielen zu schmücken, um sie greifbarer zu machen. «Wenn wir ganz trocken über Littering oder Food Waste berichten, gibt das weniger Rückmeldungen.»
Diskussion erwünscht: Dass kontroverse Themen zu vielen Kommentaren führen, sei normal – und wünschenswert. In Winterthur schalten sich gelegentlich auch Politikerinnen und Politiker ein. «Es darf eine Diskussion geben. So bilden die Facebook-Aktivitäten die politische Debatte ab», ist Weber überzeugt. Zudem komme es gut an, wenn sich die Stadt ebenfalls äussere. So könne unter Umständen mit wenig Aufwand ein guter Dialog stattfinden.
Gezielte Aufbereitung: «Texte, die wir auf Facebook in genau gleicher Form wie auf der Webseite publizieren, oder klassische Medienmitteilungen mit Fotos einer Medienkonferenz beachten die User auf Facebook weniger.» Spezifisch für den Social-Media-Nutzer aufbereitete Videos oder Bildstrecken hingegen kämen gut an, seien aber auch aufwendiger.
Richtiger Zeitpunkt: «Wir merkten, dass wir je nach Situation sensibler kommunizieren müssen, und sind heute empfänglicher für die aktuelle Stimmung der Follower», so Weber. Zu Beginn der Corona-Pandemie machte das Social-Media-Team auf ein Millionen-Bauprojekt aufmerksam. Der Stadt schlugen umgehend emotionale Reaktionen und negatives Feedback entgegen. «Wir mussten eingestehen, dass es ein ungünstiger Zeitpunkt für die Information war, und entschuldigten uns.» Bereits nach einem Tag sei Gras darüber gewachsen. Die sozialen Medien sind eine schnelllebige Welt.
Weiterentwicklung ist wichtig
Weber ist überzeugt: «Facebook eignet sich sehr gut für die Behördenkommunikation.» Auch wenn die jüngere Bevölkerung kaum mehr auf Facebook anzutreffen sei, erreiche man damit trotzdem ein sehr breites Publikum aus mehreren Altersgruppen und verschiedenen politischen Lagern. Zudem ermöglichen die verschiedenen Beitragsformate kreativen Spielraum - mit Bildern, Videos oder auch Eventseiten.
Besonders schätzt Weber die Interaktion, welche die konventionelle Behördenkommunikation nicht bieten kann: «Wir erhalten Kommentare, persönliche Nachrichten, man stellt uns Fragen. Es entsteht ein Dialog mit der Bevölkerung.» Facebook sei mittlerweile ein etablierter Kommunikationskanal der Stadt. Inzwischen wurden auch zusätzliche Stellenprozente bewilligt, sodass ein Ausbau der Aktivitäten möglich wird. Denn die Weiterentwicklung in diesem schnelllebigen Gebiet darf nicht fehlen. Das Ziel: Weitere Kanäle bespielen, um noch mehr Winterthurer:innen zu erreichen. Im Moment entsteht gerade ein Instagram-Konzept.
Umweltkommunikation wirksam gestalten
Umweltkommunikation hat viele Facetten. Wer die eigene Kommunikation mit Umweltaspekten ergänzt, gezielt das Engagement von interessierten Gruppen unterstützt oder mit Aktionstagen die breite Bevölkerung anspricht, kann viel bewirken. Die Klimademos zeigen: Die Zivilgesellschaft ist in Bewegung. Punkten Sie deshalb in Ihrer Öffentlichkeitsarbeit mit Umweltthemen – Pusch unterstützt Sie dabei.
Der Artikel ist im «Thema Umwelt» 4/2020 erschienen.
Nachtrag: Die Stadt Winterthur ist nun auch auf Instagram anzutreffen.