Zusammen einkaufen – im Praxistest
In einem Pilotversuch haben drei Zentralschweizer Gemeinden gemeinsam nachhaltig beschafft. Dabei hat sich gezeigt: Die Idee überzeugt, die Umsetzung ist aber anspruchsvoll. Was es für eine erfolgversprechende koordinierte Beschaffung braucht, zeigen die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt.
Die Gemeinden Luzern, Kriens und Meggen haben gemeinsam Hygienepapier eingekauft. Nicht etwa, weil das Produkt zu Pandemiezeiten zu einem raren Gut wurde. Vielmehr testeten sie in einem Pilotversuch die Vorteile einer koordinierten nachhaltigen Beschaffung. Eine zentrale Überlegung dabei: Wenn viele Beschaffende das Gleiche fordern, passen sich die Anbieter an. Dabei spielt natürlich auch der Preis beziehungsweise das beste Preis-Leistungs-Verhältnis mit Fokus auf Nachhaltigkeit eine Rolle.
Das zweijährige Pilotprojekt unter der Federführung der Stiftung Pusch und der Regionalkonferenz Umweltschutz Luzern, begleitet vom regionalen Entwicklungsträger «LuzernPlus», endete diesen Sommer. Es zeigt sich: Die koordinierte Beschaffung hat in verschiedener Hinsicht Potenzial. Einerseits lassen sich mit einer Zusammenarbeit Know-how, Rechtssicherheit und Marktmacht erhöhen. Andererseits erhält man mit einer professionelleren Ausschreibung schlicht bessere Produkte – punkto Qualität, Nachhaltigkeit, Preis und Rahmenbedingungen. Das ergab eine erste Bilanz mit den beteiligten Gemeindeverantwortlichen, die während des Pilotprojekts viel gelernt haben. Der Knackpunkt scheint der zumindest anfänglich grosse Zeit- und Koordinationsbedarf zu sein. «Der Aufwand war zwar hoch, hat sich aber gelohnt. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen nun als Grundlage für weitere Projekte», ist Sibylle Sautier von der Dienstabteilung Umweltschutz der Stadt Luzern überzeugt.
Produktauswahl: Grösster gemeinsamer Nenner
Eine erste Herausforderung der koordinierten Beschaffung ist die Auswahl des Produktes: Was möchte und kann man gemeinsam einkaufen? Die Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen sind (Gemeinde-)individuell. Als «Einsteigerprodukt» eignet sich ein Beschaffungsgegenstand mit eher hoher Beschaffungsfrequenz, welcher sowohl standardisiert als auch für viele Gemeinden relevant, aber wenig emotional und dafür punkto Nachhaltigkeit interessant ist. Deshalb einigten sich die Beteiligten im Pilotversuch auf den gemeinsamen Einkauf von Hygienepapier (WC- und Handpapier).
Erkenntnis: Die Wahl des Produkts scheint entscheidend für eine erfolgreiche koordinierte Beschaffung.
Beschaffungskompetenz: Gemeinsam lernen
Viele Gemeinden fühlen sich angesichts der gesetzlichen und inhaltlichen Anforderungen einer Beschaffung überfordert. Was ist rechtlich bei einer öffentlichen Ausschreibung zu beachten? Wie machen es andere Gemeinden? Welche Nachhaltigkeitsaspekte gibt es zu berücksichtigen und wie lassen sich diese in die Ausschreibung einbauen? Wie stelle ich sicher, dass ich ein wirklich zweckdienliches Produkt erhalte? Die Fragen, die sich stellen, sind vielfältig und komplex. Das Einarbeiten in die Materie und die Abklärungen sind zeitintensiv.
Sich mit anderen Gemeinden vernetzen, Austausch ermöglichen und voneinander lernen, bringt einen langfristigen Mehrwert.
Genau hier war im Pilotprojekt die fachübergreifende Zusammenarbeit inner- und ausserhalb der Gemeinde hilfreich und bot Antworten. Die Beschaffungsverantwortlichen profitierten und lernten voneinander, was von den beteiligten Gemeinden als Hauptnutzen genannt wurde.
Erkenntnis: Sich mit anderen Gemeinden vernetzen, Austausch ermöglichen und voneinander lernen, bringt einen langfristigen Mehrwert.
Kooperationsgemeinden: Die Fühler ausstrecken
Selten sind alle Beschaffungen einer Gemeinde zentral organisiert. Umso schwieriger ist es daher vorauszusehen, welche Anschaffungen in naher Zukunft wo anfallen. Für die Planung und die Suche nach möglichen Kooperationsgemeinden wäre es allerdings hilfreich zu wissen, wo demnächst ähnliche Einkäufe anstehen.
Erkenntnis: Der Austausch mit anderen Gemeinden kann auch stattfinden, wenn die Beschaffungsabläufe innerhalb der eigenen Gemeinde (noch) nicht vollständig zentralisiert und koordiniert sind. Diese Vernetzung macht durchaus auch auf Fachebene Sinn. Wichtige Voraussetzungen dafür sind persönliche Beziehungen und Offenheit. Pilotversuche helfen, Hemmschwellen und allfällige Hürden zwischen den Gemeinden abzubauen, und ermöglichen Einblick in andere Prozesse und Herangehensweisen.
Koordination: Treibende Kraft
Alle drei Gemeinden hatten wenig Erfahrung in der koordinierten Beschaffung. Entsprechend aufwendig, aber wichtig waren die Erarbeitung der Grundlagen sowie eine koordinierende Instanz, die stetig auf das gemeinsame Ziel zusteuerte.
Erkenntnis: Die koordinierte Beschaffung funktioniert nur mit klaren Verantwortlichkeiten, einer treibenden Kraft und viel Überzeugungsarbeit.
Das Pilotprojekt aus der Sicht von Pusch
Für Gemeinden ist es anspruchsvoll, Nachhaltigkeitskriterien und weitere qualitative Aspekte in die Beschaffungsprozesse einzubeziehen. Das totalrevidierte Beschaffungsrecht fördert aber dieses Vorgehen. Deshalb sollten sich Gemeinden und Städte dafür fit machen.
Eine gute Möglichkeit ist die Bündelung der Ressourcen, Kompetenzen und der Beschaffungsmengen, wie im Pilotprojekt angestrebt. Davon profitieren Beschaffende in vielerlei Hinsicht, besonders von der langfristigen Professionalisierung ihrer Beschaffungskompetenzen und -unterlagen wie auch von Produkten, die nebst finanziellen auch qualitativen und nachhaltigen Kriterien entsprechen.
Mit einer zunehmenden Institutionalisierung der gemeindeübergreifenden Zusammenarbeit fallen viele der anfänglichen Vorbehalte, wie beispielsweise der zusätzliche Zeitaufwand, weg. Im Gegenteil, die für den Beschaffungsprozess nötigen Ressourcen werden verringert. Was in der Privatwirtschaft schon lange praktiziert wird, die zentralisierte und standardisierte Beschaffung, ist auch für Gemeinden möglich.
Ein umfassenderes Fazit werden die Gemeinden erst nach einiger Zeit der koordinierten Beschaffung ziehen. Dann steht auch der Entscheid an, inwiefern und welche Produkte sie in Zukunft wieder koordiniert beschaffen möchten.
Vorbild aus Österreich
Die rund 70 Gemeinden im österreichischen Vorarlberg haben verstanden, wie sinnvoll eine beauftragte Koordinationsstelle ist. Sie setzen seit mehreren Jahren auf eine gemeinsame Beschaffungsstelle, den Ökobeschaffungsservice (ÖBS). Das österreichische Vorbild hat das Pilotprojekt in der Zentralschweiz inspiriert. Der ÖBSS-Shop bietet Gemeinden mittlerweile Artikel aus über 50 Produktgruppen der Bereiche Büro, Werkhof, Abfallwirtschaft, Feuerwehr, Reinigung, Schule oder Fahrzeugpark an. Die Vorteile überwiegen klar und werden unter anderem sicht- und spürbar beim Zeitaufwand, dem attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnis, der höheren Rechtssicherheit und schliesslich auch bei der grösseren Zahl an ökologisch und sozial nachhaltigen Produkten, welche die Gemeinden heute beschaffen.
Gemeinden haben Verantwortung – und Macht
Es ist verlockend, als Gemeinde für Anschaffungen unter dem Radar zu navigieren, sprich unter dem Schwellenwert zu bleiben, der für öffentliche Ausschreibungen gilt. Aber die öffentliche Hand trägt – ebenso wie private Unternehmen – eine Verantwortung, sozialverträglich einzukaufen, Klimaschutzmassnahmen umzusetzen und sorgsam mit natürlichen und finanziellen Ressourcen umzugehen. Das revidierte Beschaffungsrecht spricht denn auch von einem ökologisch nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel. Dies können Gemeinden und Städte insbesondere sicherstellen, indem sie hohe Anforderungen bei der Beschaffung stellen und damit langfristig den Markt entsprechend beeinflussen.
Projekt-Steckbrief
Projektorganisation: Regionalkonferenz Umweltschutz Luzern (Projektträgerin), «LuzernPlus», Rechtsdienste der Stadt Luzern und des Kantons Luzern (fachliche Unterstützung), Umweltschutz Stadt Luzern und Stiftung Pusch (Projektleitung)
Hauptkriterien: Neben Eignungskriterien und technischen Kriterien (inklusive produktbezogene Nachhaltigkeitskriterien) wurden folgende Zuschlagskriterien definiert: Preis, Produktqualität und Kriterien der Nachhaltigkeit (CO2-armer Transport und Logistik).
Dauer des Vertrags: 3 Jahre mit einer Verlängerungsoption von 2 Jahren
Ausgeschriebene Produkte:
Toilettenpapier Rollen 3-lagig, 2-lagig Tissue, 1-lagig und Jumborollen
Papierhandtücher Z-Falz 2-lagig und V-Falz 1-lagig
Rollenhandtücher 2-lagig
Küchenrollen 3-lagig
Lieferorte: direkt an die beteiligten Gemeinden mit Angabe der ungefähren Anzahl Lieferadressen für die Feinverteilung
Vertragspartner: die einzelnen beteiligten Gemeinden
Dauer des Pilotprojekts: Juni 2019 bis August 2021
Der Artikel ist im «Thema Umwelt» 3/2021 erschienen.
Titelbild: iStock/FotografiaBasica