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Biodiversität
Fachartikel

«Auch mit wenig Ressourcen lässt sich einiges machen»

Andreas Schuler
Der Stadtbach in Aarau.

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6 Minuten Lesezeit

Biodiversität

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Daniel Ballmer ist Mitbegründer der Onlineplattform Floretia, die Instrumente zur Biodiversitätsförderung im Siedlungsraum zur Verfügung stellt. Im Gespräch erklärt er, welches Potential in der Förderung von naturnahen Klein- und Restflächen liegt und auf was Gemeinden dabei achten sollten.

Daniel Ballmer, wie steht es um die Biodiversität in den Schweizer Städten und Gemeinden?

Ganz allgemein muss man sagen, dass es um die Biodiversität in der Schweiz nicht wirklich gut steht. Die Lage ist schlechter, als die meisten Menschen denken. Es gibt zwar viel Grün in der Schweizer Landschaft, allerdings ist in diesem Grün merklich weniger Leben als noch vor 100 Jahren. Am stärksten ist der Rückgang der Biodiversität im landwirtschaftlich geprägten Gebiet. Aber auch der Siedlungsraum ist betroffen. Viele der in der Schweiz früher typischen Gartenvögel oder -Insektenarten, sind verschwunden.

Um diesem Trend etwas entgegenzusetzen, versuchen viele Städte und Gemeinden, die Biodiversität gezielt zu fördern. Welche Rolle spielen dabei kleine Grünflächen wie Strassenbegleitflächen oder Kreisel?

Kleine Flächen von bis zu ein paar Dutzend Quadratmetern können Tieren und Pflanzen kaum als eigene Lebensräume dienen. Ihre Bedeutung liegt vielmehr darin, dass sie zur Vernetzung von bestehenden, grösseren Lebensräumen beitragen. Etwa dadurch, dass sie bestimmten Tierarten, die in der Nähe leben, eine Nahrungsquelle bieten. Oder aber, indem sie Arten wie Fledermäusen oder Igeln, die gezielt an Hecken oder Bäumen entlangwandern, als Verbindungspunkte dienen. Kleine Flächen sind also vor allem dazu da, grössere Flächen zu unterstützen und zu verbinden. Sie sind wichtige Puzzleteile in einem Netz von verschiedenen Grünräumen. In diesem Netz gilt: Jeder naturnah gestaltete Quadratmeter zählt.

Auf was muss ich als Gemeinde oder Privatperson bei der naturnahen Gestaltung von Kleinflächen achten?

Zentral ist, dass Sie kleine Flächen möglichst so gestaltet, dass sie sich an grössere Flächen in der Umgebung anlehnen. Dazu sollte man sich die Kleinflächen stets in ein grösseres Netzwerk eingebunden vorstellen und sie nicht als isolierte Einzelprojekte behandeln. Zudem ist es wichtig, bei der Planung von Anfang an auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit zu achten. Also langlebige und standortgerechte, zum allergrössten Teil einheimische Pflanzen verwenden und diese möglichst immer in Gruppen pflanzen, damit eine optimale Bestäubung gewährleistet ist. Da dem ökologischen Wert der einzelnen Art auf Kleinflächen mehr Bedeutung zukommt als auf grossen Flächen, wählen Sie am besten Pflanzen, von denen sich viele verschiedene Tiere ernähren.

Daniel Ballmer

«Es ist wichtig, bei der Planung von Anfang an auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit zu achten.»

Daniel Ballmer, Umweltwissenchaftler und Mitgründer der Onlineplattform "floretia"

Ein weiterer wichtiger Punkt bei der naturnahen Gestaltung von Kleinflächen ist die Pflege. Sie gilt es von Anfang an mitzudenken. Die gewünschte Funktion einer Grünfläche bestimmt auch die Art der Pflege. Eine falsche Pflege kann gute Absichten schnell durchkreuzen. Einer der häufigsten Fehler ist dabei eine uniforme Pflege: Wiesen werden restlos abgemäht, Hecken vollständig auf den Stock gesetzt, Beete komplett zurückgeschnitten. So verschwinden alle Arten, die auf ungestörte Rückzugsgebiete angewiesen sind. Um solche Fehler zu vermeiden und eine nachhaltige Pflege zu gewährleisten, bieten sich verbindlichen Pflegeplänen an. Die darin festgehaltenen Standards unterstützen jene, die die Flächen pflegen und tragen damit zu Kontinuität bei.

Sie sind Mitbegründer der Onlineplattform Floretia. Inwiefern kann diese Plattform Gemeinden bei der Aufwertung von Grünflächen unterstützen?

Unsere Gratis-Tools kommen dann ins Spiel, wenn die verantwortlichen Personen bereits eine Idee davon haben, was sie machen wollen. Auf der Plattform finden sie eine Antwort auf die Frage, welche Pflanzen und Strukturelemente sich für ihr Vorhaben am besten eignen. Die Plattform beachtet dabei sowohl den Standort der jeweiligen Fläche wie auch die Tiere, die man damit fördern will. Diesen Service können übrigens auch Privatpersonen nutzen, die ihre Gärten oder Balkone mit standortgerechten Wildpflanzen aufwerten möchten.

Etwas spezifischer auf Gemeinden und Kantone zugeschnitten ist das Instrument Floretia plus, das ebenfalls auf der Plattform zu finden ist. Dort können bereits zusammengestellte Pflanzenlisten auf ihren ökologischen Wert hin geprüft werden. Im Laufe dieser Prüfung werden dann beispielsweise invasive Pflanzen aufgespürt und einheimische, ökologisch wertvolle Pflanzen als Alternative vorgeschlagen. Das Instrument ist damit nicht nur für Kantone und Gemeinden interessant, sondern für alle, die beruflich mit Bepflanzungen zu tun haben wie etwa Gartenbaubetriebe, Landschaftsarchitekturbüros, Ökobüros oder Flächen kontrollieren, also beispielsweise Baugenossenschaften, Immobilienfirmen oder Firmen mit grossen Arealen.

Gibt es Beispiele für die Schaffung von naturnahen Flächen im Siedlungsgebiet, die Sie für besonders gelungen halten und die als Vorbilder dienen können?

Etwas, das ich besonders gelungen finde, sind die Grünflächen vor und hinter dem Stadtwerk in Winterthur. Und zwar gibt es hinter dem Stadtwerk einen sehr grosszügigen Trockenstandort mit Ruderalflächen, Hecken, Wildbienennisthilfen, Steinhaufen und vielem mehr. Hier wurde ein grosser Lebensraum für viele Arten geschaffen. Vor dem Stadtwerk wiederum wurden eher kleine Flächen aufgewertet, die jedoch sehr gut an die grösseren Flächen anschliessen.

Ein anderes Beispiel ist der Stadtbach in Aarau. Im Rahmen einer punktuellen Aufwertung wurden hier Uferabschnitte geschaffen, die einheimische Uferpflanzen wie etwa den Blutweiderich oder den Gilbweiderich beherbergen. Ich konnte selbst schon beobachten, wie dadurch bestimmte Wildbienen angezogen wurden, denen die neue Flora zusagt. Dass dies funktioniert, liegt nicht zuletzt auch daran, dass die neugestalteten Uferabschnitte ganz bewusst an die nahegelegene Auenlandschaft anschliessen und sich so mit ihr vernetzen.

Zum Schluss: Welchen Rat würden Sie Gemeinden ans Herz legen, welche die Biodiversität auf ihrem Gemeindegebiet fördern wollen?

Ich rate solchen Gemeinden, die Natur und die Biodiversität bei ihren Projekten – insbesondere bei den Bauprojekten – von Anfang an mitzudenken. Denn es gibt viele wirkungsvolle und kostengünstige Massnahmen, die aber nur dann umgesetzt werden können, wenn sie bereits früh im Prozess angedacht werden.

Erfahrungsaustausch Biodiversitätsförderung

Pusch organisiert regelmässig runde Tische für Gemeindevertreter:innen zum Thema Biodiversitätsförderung im Siedlungsgebiet und bietet damit die Möglichkeit, ihre Erfahrungen im Rahmen eines halbtägigen Treffens mit anderen Werkhofleitenden, Naturschutzverantwortlichen und Gemeinderät:innen auszutauschen und voneinander zu lernen. Anstehende Termine sind jeweils in der Umweltagenda ausgeschrieben.

Titelbild: Daniel Ballmer


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