Gemeinde
Beschaffung
Praxisbeispiel

«Die Überarbeitung von Beschaffungsrichtlinien ist Ausdruck von Verantwortung»

Bettina Degen
Stadtansicht von Baden mit einer Holzbrücke über die Limmat und dem Landvogteischloss auf der rechten Seite.

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7 Minuten Lesezeit

Beschaffung

Praxisbeispiel

Die Aargauer Stadt Baden überarbeitet ihre Beschaffungsrichtlinie – und passt ihre bestehende verbindliche Weisung an. Wie die nachhaltige Beschaffung in der Verwaltung der Stadt Baden als Prozess verstanden wird und wie die Mitarbeitenden eingebunden wurden, erzählt Barbara Finkenbrink, Projektleiterin Klima und Umwelt, im Interview.

Bettina Degen im Gespräch mit Barbara Finkenbrink

Baden hat seit Jahren Bestimmungen für eine nachhaltige Beschaffung in der Verwaltung. Warum haben Sie sich entschieden, die bestehende Richtlinie zu überarbeiten?

Barbara Finkenbrink: Weil wir gemerkt haben: Es geht noch besser – und es gibt neue Möglichkeiten in der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung. Die gesetzliche Lage hat sich verändert. Durch die interkantonale Vereinbarung (⁣IVöB) und das neue Bundesgesetz (⁣BöB) haben wir heute mehr Spielraum, um soziale und ökologische Kriterien stärker zu gewichten. Diesen wollen wir nutzen. Wir hatten in der Stadt Baden 2011 Leitsätze für die nachhaltige Beschaffung eingeführt, 2013 eine Rahmenrichtlinie erstellt und diese 2017 in eine Weisung transferiert. Aber sind die Umweltstandards noch aktuell? Wo gibt es Potenzial für ein Finetuning? Was hat sich auf dem Markt verändert? 

Gibt es konkrete Beispiele, bei denen mit der neuen Weisung Verbesserung der Standards eintreten werden?

Ja, die Ernährung ist beispielsweise ein starker Treiber von Umweltbelastungen. Hier anzusetzen lohnt sich. Unsere Schulen haben das bei der neuen Auftragserteilung bei Schulessen in unseren Mensen und Tagesstätten bereits hervorragend umgesetzt. Die neue Regelung stärkt dies. Darin ist festgelegt, wie die Menüs ausgewählt und präsentiert werden: Mindestens ein vegetarisches Tagesmenü steht, attratkiv beschrieben, zuoberst beim Mensa-Angebot. Es ist auch festgelegt, woher das Fleisch stammt oder nach welchen Standards der Fisch eingekauft werden soll.

Ein anderes Beispiel kommt von der Sanierung des Schulhauses Pfaffechappe: Durch den Erhalt der Tragstruktur konnte viel CO₂ eingespart werden. Nicht mehr benötigte Materialien und Bauteile wurden bei anderen Bau- und Sanierungsprojekten wiederverwendet. Dies hat gezeigt, dass auch die Weiternutzung und die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft in den Beschaffungsvorgaben verankert werden müssen.

Energiestadt Baden

Mit rund 23'900 Einwohner:innen ist Baden derzeit die grösste Stadt im Kanton Aargau. Bis spätestens 2050 sollen die energiebedingten Emissionen auf netto null sinken. Schon seit 2005 ist die Stadt an der Limmat als Energiestadt zertifiziert – und verfolgt konsequent eine nachhaltige Energie- und Klimapolitik. Nachdem im Oktober 2024 entschieden wurde, dass die nachhaltige öffentliche Beschaffungsrichtlinie überarbeitet werden soll, wird nach einem Jahr der Überarbeitung die neue Richtlinie als Weisung zur Verabschiedung beim Stadtrat vorliegen. Sie wird voraussichtlich im Herbst 2025 in Kraft treten.

Warum hat Baden den Schritt hin zu einer Weisung statt einer Richtlinie gemacht?

Eine Weisung hat mehr Gewicht – sie ist behördenverbindlich. Wir arbeiten nun nicht mehr mit einer Sammlung von Empfehlungen, sondern mit einem offiziellen Erlass der Stadt. Das heisst: Alle Abteilungen, die beschaffen, müssen sich daran halten. Die Weisung ist nichts grundsätzlich Neues, wir haben die Richtlinie einfach verbindlicher gemacht. Unsere Mitarbeitenden wissen damit, dass diese Standards für alle Abteilungen gelten. Das schafft Klarheit und Verantwortung.

Wie haben Sie den Überarbeitungsprozess konkret gestaltet?

Gemeinsam. Uns war wichtig, dass alle, die später mit der Weisung arbeiten, früh einbezogen werden. Es gab Workshops, Interviews und Austauschrunden – zusammen mit externen Partner:innen wie Pusch. Unsere Leitfrage während des ganzen Prozesses war: Wie können wir unsere Beschaffungsstandards auf einen aktuellen Stand bringen und wie soll unsere Weisung aussehen, damit sie für die Beschaffungen im Verwaltungsalltag eine Unterstützung und Orientierung darstellt.  

Welche Rückmeldungen sind zusammengekommen?

Die Einkaufenden wünschten sich eine verständliche und alltagstaugliche Weisung. Wir haben das Dokument deshalb in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil enthält die allgemeinen Grundlagen, den Prozessablauf, wer wofür zuständig ist und die Evaluation. Der zweite Teil umfasst ein praktisches Handbuch, aufgegliedert nach Produkten. Darin wird beschrieben, was bei welchen Produkten zu beachten ist, welche Standards gelten und welche Kriterien verlangt werden sollten. Das Handbuch enthält Abbildungen der erlaubten Labels, konkrete Anforderungen und Beispiele. So können sich die Beschaffenden rasch und einfach orientieren. Das gibt Sicherheit – und spart Zeit.

Portrait Barbara Finkenbrink, Stadt Baden

«Das perfekte nachhaltige Produkt gibt es nicht – aber einen besseren Kaufentscheid.»

Barbara Finkenbrink, Projektleiterin Klima und Umwelt, Stadt Baden

Gab es Widerstände oder Unsicherheiten?

Natürlich. Einige haben sich gefragt, ob das jetzt mehr Aufwand bedeute. Oder ob ihnen Entscheidungsspielräume genommen werden. Andere sehen das Dokument als gute Orientierungsgrundlage. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Und genau deshalb haben wir auf ein Miteinander gesetzt. So konnten wir Unsicherheiten vorwegnehmen. Die Bereitschaft, mitzugehen, ist bei denjenigen grösser, die verstehen, warum wir das machen und dass es die Beschaffungsarbeit unterstützen soll.

Was waren Ihre wichtigsten Argumente im Dialog mit den Abteilungen?

Erstens, wir haben einen klaren Auftrag. Nachhaltiges Handeln ist nämlich seit 2006 in unserer Gemeindeverordnung verankert. Zweitens, das ist alles nichts Neues. Wir machen das schon seit Jahren, jetzt einfach besser. Und drittens, mit öffentlichen Geldern müssen wir sorgfältig umgehen. Nachhaltige Beschaffung ist keine Option, als Weisung ist sie Pflicht. Die Überarbeitung unserer Richtlinien ist daher ein Ausdruck von verantwortlichem Handeln.

Welche Rolle spielten externe Partner:innen wie Pusch?

Wir konnten von deren Expertise profitieren, vor allem bei der Recherche von produktspezifischen Standards. Denn der Markt verändert sich rasch. Es ist ein enormer Arbeitsaufwand, wenn wir als Gemeinde auf dem aktuellen Stand bleiben wollen. So hat uns die Zusammenarbeit viel Zeit erspart. Wir konnten diese gewonnene Zeit wiederum in Gespräche und Abstimmungen investieren. Das war für die Ausarbeitung eines praxisnahen Instruments wichtig.

«Wir sammeln gute und weniger gute Beschaffungsbeispiele. Daraus wollen wir lernen.»

Barbara Finkenbrink, Projektleiterin Klima und Umwelt, Stadt Baden

Und wie stellen Sie sicher, dass die neue Weisung wirklich praxisnah wirkt?

Durch Lernen aus Erfahrung und Evaluation. Wir werden jährlich ein Austauschtreffen mit allen, die beschaffen, organisieren. Dort soll offen diskutiert werden: Was hat funktioniert? Was war schwierig? Wo braucht es mehr Unterstützung? Ausserdem sammeln wir gute und weniger gute Beispiele – daraus wollen wir gemeinsam lernen. Das Thema nachhaltige Beschaffung bleibt so abteilungsübergreifend präsent und lebendig und wird als Prozess verstanden. 

Gibt es schon kleine oder grössere Erfolgsgeschichten?

Wir haben tatsächlich gemerkt, dass wir in der Vergangenheit nicht schlecht aufgestellt waren, aber auch, dass es in allen Bereichen Verbesserungspotenzial gibt. Persönlich freue ich mich, wenn jemand sagt, ‚Ich habe nun mehr Klarheit und finde mich im Beschaffungsprozess mit der neuen Weisung besser zurecht.‘

Was würden Sie anderen Gemeinden mitgeben, die noch am Anfang stehen?

Das perfekte, nachhaltige Produkt gibt es nicht – aber einen besseren Kaufentscheid. Darum ermuntere ich, anzufangen. Man muss selbst auch nicht perfekt sein, aber man kann besser werden. Nachhaltige Beschaffung ist wie eine Wanderung: Der erste Schritt zählt.

Auch bei uns war es ein Prozess. Wir sind im Vergleich mit anderen eine mittelgrosse Stadt mit beschränkten Ressourcen – und trotzdem nehmen wir unsere Verantwortung als Verwaltung wahr. Die nachhaltige öffentliche Beschaffung ist ein Weg, den es sich zu gehen lohnt.

Besucher:innen auf dem Wochenmarkt in der Stadt Baden schlendern entlang der Stände.

Sensibilisieren für den Konsum: Auch das gehört in den Bereich von Beschaffungsthemen einer Stadt. Bild: Stadt Baden

Kann die nachhaltige Beschaffung auch als Vorbildfunktion für die Bevölkerung dienen?

Wir als Stadt haben einen klaren Auftrag. Als Verwaltung ist Baden verpflichtet, mit Steuergeldern nachhaltig umzugehen. Gerade beim Einkauf tun wir das mit einer klaren, nachhaltigen Ausrichtung – Schritt für Schritt. Aber wir müssen auch eingestehen, dass der Konsum – der auch zur Beschaffung zählt – hauptsächlich im privaten Bereich stattfindet. Er ist umweltbelastend und CO₂ relevant. Wir hoffen, dass wir mit einer nachhaltigen Beschaffungspolitik auch die Bevölkerung für einen nachhaltigen Konsum sensibilisieren können.

Das tun wir beispielsweise mit Öffentlichkeitsarbeit wie beispielsweise 2019 zum Thema Nachhaltigkeit «Starten statt warten!» oder 2023 zum Umgang mit Ressourcen unter dem Motto «Was geben wir weiter?». Im digitalen Bereich bieten unser «Umwelt-Cockpit» sowie unser Umweltblog ein sehr gutes Format zur Information und Sensibilisierung der Bevölkerung – auch, weil der Umweltblog mit einer Kommentarfunktion den Dialog mit der Bevölkerung ermöglicht.

Wie geht die Reise in Baden weiter?

Nachhaltige öffentliche Beschaffung bleibt ein Prozess. Wir bleiben dran und beobachten zukünftige Entwicklungen.

Weitere Artikel zum Umwelt-Engagement der Stadt Baden

  • Mit Speed-Dating zu mehr Gebäudesanierungen: Badener Hauseigentümer:innen werden im Kurzaustausch zwischen Eigentümer:innen und Fachpersonen über nachhaltige Gebäudesanierungen sensibilisiert.

  • Beschaffungsbeispiel Fussballplatz-Kunstrasen: Nach zehn Jahren intensiver Nutzung musste der Sportrasen auf dem Fussballplatz ausgetauscht werden. Der Stadt Baden ist es gelungen, einen ökologisch optimierten Ersatz zur Verfüllung zu finden: Kork.

Titelbild: Joachim Kohler (CC BY-SA 4.0)


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