«Das A und O für eine Beschaffungsrichtlinie ist der politische Wille»
Nachhaltiges Einkaufen wird immer wichtiger – gerade weil die öffentliche Hand eine Vorbildrolle einnimmt, wenn sie mit Steuergeldern hantiert. Deshalb setzen immer mehr Gemeinden auf Beschaffungsrichtlinien. Patricia Letemplé, Beschaffungsexpertin bei Pusch, begleitet Gemeinden auf diesem Weg. Im Interview erzählt sie, was es zu beachten gilt und wo die häufigsten Stolpersteine liegen.
Nadine Siegle im Gespräch mit Patricia Letemplé
Du begleitest Gemeinden, die Richtlinien für eine nachhaltigere Beschaffung erarbeiten und einführen möchten. Welche Beweggründe stecken erfahrungsgemäss dahinter?
Patricia Letemplé: Häufig gibt die Politik den Startschuss dazu, beispielsweise wenn sich eine Gemeinde mit ihren Klimazielen auseinandersetzt, etwa im Rahmen einer Klimastrategie. Dann landet sie schnell bei der Beschaffung: Der Einkauf ist nämlich einer der grössten Hebel einer Gemeinde, um die eigenen Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren und den Klimazielen näherzukommen.
Ebenfalls ein wichtiger Grund ist die Vorbildfunktion. Immer mehr Verwaltungen sind sich durchaus bewusst, dass sie als öffentliche Hand ein Vorbild sein müssen, bevor sie der Bevölkerung sagen können, sie solle nachhaltiger leben.
Und was folgt nach dem Entscheid für eine Beschaffungsrichtlinie?
Als Erstes braucht es eine Auslegeordnung: Wie weit ist die Gemeinde bereits im nachhaltigen Einkauf? Was verstehen die Einkaufenden ganz grundsätzlich unter nachhaltiger Beschaffung? Welche Produkte fallen am meisten ins Gewicht, zum Beispiel wegen ihres Volumens oder aus Sicht der Nachhaltigkeit? Ausserdem klären wir das Bedürfnis der Gemeinde: Möchten die Verantwortlichen eine tiefgründige Richtlinie mit konkreten Kriterien pro Produktgruppe oder eher ein allgemein gehaltenes Leitbild? Anschliessend geht es ans Eingemachte: die konkreten Kriterien.
Also tastet ihr euch mit der Analyse der Ist-Situation an die Richtlinie heran?
Genau. Wenn wir die Grundlagen geklärt haben, geht es um die konkrete Ausgestaltung der Richtlinie. Der Detailgrad der Richtlinie, der einzelnen aufgeführten Produktgruppen und der Kriterien kann sehr unterschiedlich sein. Häufig reichen aber schon einzelne Kriterien, um bei einer Produktgruppe nachhaltiger einzukaufen. Bei Papier ist das zum Beispiel die Anforderung, dass es Recyclingpapier sein soll.
«Die Richtlinien müssen nicht extrem detailliert sein, sondern vor allem die wichtigsten Nachhaltigkeitskriterien enthalten.»
– Patricia Letemplé, Beschaffungsexpertin, Pusch
So begleiten wir die Gemeinde mit Hilfe von Vorlagen auf dem Weg zu einer für sie passenden Richtlinie. Dabei ist es uns ein Anliegen, dass die wichtigsten Kriterien aufgeführt sind. Also das, worauf es für die Nachhaltigkeit auch ankommt.
Das heisst?
Die Vorgaben müssen nicht bis ins Unendliche detailliert sein, sondern vor allem die wichtigsten Nachhaltigkeitskriterien enthalten. Zum Beispiel: Bei Fahrzeugen ist die Antriebsart das, worauf es ankommt. Aus Sicht der Nachhaltigkeit müssen wir dann nicht zwingend auch noch über Nebenaspekte wie die Bereifung oder das Fahrverhalten sprechen. Die Antriebsart ist das wichtigste Kriterium.
Das tönt eigentlich ganz simpel. Aber wenn es so einfach wäre, gäbe es wohl keine Argumente gegen nachhaltigen Einkauf.
So einfach ist es natürlich nicht. Manchmal gibt es gute Gründe dafür, nicht nachhaltig einzukaufen. In internen Gesprächen mit den Beschaffenden gilt es, diese Gründe genauer unter die Lupe zu nehmen. Der häufigste Grund, wieso von einem bestimmten Produkt nicht die nachhaltige Variante eingekauft wird, ist schlichtweg, dass es davon noch keine oder nicht genügend Angebote gibt. Der Markt ist noch nicht in allen Produktgruppen so weit.
«Nachhaltig wird häufig mit lokal gleichgesetzt. Nachhaltigkeit ist aber viel mehr als das.»
– Patricia Letemplé, Beschaffungsexpertin, Pusch
Ein anderer wichtiger Grund ist, dass das Produkt sehr spezifischen Anforderungen genügen muss, wie zum Beispiel bei Sicherheitskleidung. Da gibt es nicht alles in Bio-Baumwolle oder Recycling-Materialien. Aber wir treffen auch immer wieder auf Schein-Argumente, die wir in diesem Prozess herausschälen müssen. Zum Beispiel das Vorurteil, dass Recyclingpapier nicht die gleiche Qualität bietet wie Frischfaserpapier.
Wie stellen die begleiteten Gemeinden anschliessend sicher, dass die Beschaffenden auch gemäss der neuen Richtlinie einkaufen?
Zunächst einmal kommt es darauf an, ob eine verbindliche Richtlinie entsteht oder lediglich Empfehlungen. Unser Ziel ist es, ein verbindliches Instrument mit den Gemeinden zu erarbeiten. Deshalb raten wir ihnen, die Beschaffungsvorgaben zum Beispiel der Exekutive vorzulegen und offiziell abnehmen und einführen zu lassen. Es gibt aber auch Fälle, bei denen es bei einer unverbindlichen Empfehlung bleibt. So oder so braucht es aber eine regelmässige interne Kommunikation und Schulungen der betroffenen Mitarbeitenden, damit das Regelwerk kein Papiertiger wird (siehe Artikel «Mit Beschaffungsrichtlinien lässt sich mit wenig Aufwand viel bewirken»). Und nicht zuletzt ist das Controlling wichtig, um den Erfolg respektive Fortschritt zu messen.
Wie gelingt das Controlling effizient, ohne grossen Zusatzaufwand? Die Verantwortlichen haben im Alltag sonst schon sehr viel auf dem Tisch.
Kleinere Gemeinden können das Controlling zum Beispiel über eine Art Stempellösung regeln: Dabei gibt es einen Stempel, mit dem die Mitarbeitenden Rechnungen visieren. Beim Visieren müssen sie ankreuzen, ob sie gemäss Richtlinie eingekauft haben oder nicht. Und wenn nicht, sind die Gründe zu nennen. Eine verantwortliche Person muss diese Angaben aber regelmässig auswerten. Eine weitere Möglichkeit wäre, die Beschaffenden einmal im Jahr zu befragen, wie sie mit den Vorgaben umgehen und wie sie die Nachhaltigkeitskriterien im Alltag umsetzen.
Was zeigt deine Erfahrung bei der Begleitung auf dem Weg zur Beschaffungsrichtlinie? Mit welchen Herausforderungen kämpfen die Gemeinden?
Die ungenügende Unterstützung von einzelnen Personen oder Teilen der Exekutive erschwert die Erarbeitung und Umsetzung nachhaltiger Beschaffungsrichtlinien leider sehr. Weitere Herausforderungen sind die mangelnden Ressourcen, die hohe Arbeitslast bei den Verantwortlichen, fehlendes Wissen über die Möglichkeiten, aber manchmal auch etwas Zaghaftigkeit und der fehlende Mut, den juristischen Freiraum zu nutzen.
Hast du Tipps für die Betroffenen, wenn sie vor solchen Hürden stehen?
Es gibt viele Hilfsmittel und Weiterbildungen, um sich mehr Wissen über die nachhaltige Beschaffung anzueignen (siehe Box). Und wenn es darum geht, noch nicht so überzeugte Personen für die nachhaltige Beschaffung zu inspirieren, können Argumentationshilfen die Überzeugungsarbeit erleichtern. Aber auch Beschaffende in Gemeinden, die noch keine Richtlinie haben, können in ihren Ausschreibungen ökologische und soziale Kriterien einbauen und dazu zum Beispiel vorhandene Merkblätter beiziehen. Damit werden sie zum Vorbild für andere.
Unterstützung bei der Erarbeitung
Sie möchten den Einkauf in Ihrer Gemeinde auf die aktuellen Schweizer Umweltziele und die Netto-Null-Strategie 2050 ausrichten? Lassen Sie sich beraten. Mit dem Basispaket von Pusch schneiden wir gemeinsam eine Standard-Richtlinie auf die Bedürfnisse Ihrer Gemeinde zu. Wer eine umfangreichere Unterstützung wünscht, erhält mit dem Zusatzpaket individuelle Begleitung.
Seit 2021 ist das revidierte Beschaffungsrecht in Kraft. Es ermöglicht den Einkaufenden, der Nachhaltigkeit mehr Gewicht zu geben. Hat das die gewünschte Wirkung gezeigt?
Im Zusammenhang mit der Revision wurde häufig von einem Paradigmenwechsel gesprochen. Das ist ein grosses Wort. Ich denke nicht, dass es den Wandel in der Realität passend beschreibt. Im Gespräch mit Vertreter:innen aus Gemeinden merke ich, dass sie sich ihrer Verantwortung zwar immer bewusster werden. Doch auf der Ebene der konkreten Massnahmen ist das leider noch nicht angekommen.
Woran könnte das liegen?
Viele wissen schlichtweg gar nicht, was nachhaltige Beschaffung ist. Ich höre häufig, dass nachhaltig gleichgesetzt wird mit lokal. Nachhaltigkeit ist aber viel mehr als das. Und das Bewusstsein dafür fehlt leider in vielen kleinen und mittleren Gemeinden immer noch. Dazu kommt, dass sich viele nicht trauen, dieses vermeintlich komplexe Thema anzupacken. Häufig wissen die Verantwortlichen nicht, was erlaubt ist, und haben den Mut nicht, etwas Neues zu probieren.
Welche Erfolgsfaktoren beobachtest du bei den Gemeinden, die erfolgreich eine Beschaffungsrichtlinie einführen?
Das A und O ist – wie so häufig – der politische Wille. Die Rückendeckung der Politik ist enorm wichtig. Ausserdem hilft es, wenn die nachhaltige Beschaffung in existierende Strategien eingebettet wird, zum Beispiel in die Klimastrategie. Sie wird viel eher umgesetzt, wenn sie als Teil von etwas grösserem verstanden wird, indem sie einen Beitrag zu übergeordneten Zielen leistet. Nicht zu unterschätzen sind zudem engagierte Personen, die das Thema vorantreiben. Und nicht zuletzt geht es nur, wenn die Mitarbeitenden, die im Alltag regelmässig einkaufen, in den Prozess einbezogen werden.