Gemeinde
Biodiversität
In eigener Sache

«Die Schweiz braucht eine gemeinsame Vision zur Biodiversität»

Priska Messmer
Clivia Bucher
Eine junge Frau sitzt auf einem Beton-Element, im Hintergrund prägen Laubbäume das Bild.

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5 Minuten Lesezeit

Biodiversität

In eigener Sache

Die Biodiversitätsförderung hat in der Schweizer Gesellschaft einen schweren Stand. Es fehlt an Know-how und Engagement. Das Gemeinschaftsprojekt «Biodiversität. Jetzt!» will dies ändern – mit einer Informationsoffensive und einer Mitmachplattform. Projektleiterin Clivia Bucher erklärt im Interview, was dahintersteckt.

Priska Messmer im Gespräch mit Clivia Bucher

Der Zustand der Biodiversität in der Schweiz ist alarmierend. Trotzdem wurde die Biodiversitätsinitiative im September 2024 abgelehnt. Fehlt es an Problembewusstsein?

Clivia Bucher: Das Abstimmungsergebnis deckt sich mit den Erkenntnissen unserer Analysen. Wir haben im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts «Biodiversität. Jetzt!» zwei Umfragen lanciert, die das Problembewusstsein, den Wissensstand und den Aktivierungsgrad verschiedener Akteur:innen in Bezug auf das Thema Biodiversität abgeholt haben. Das Resultat war klar und besorgniserregend. Das Thema bekommt nach wie vor nicht die Aufmerksamkeit, die es angesichts der Fakten verdient hätte (siehe Beitrag «Biodiversitätsverlust: Breite Sensibilisierung dringend notwendig»). 

Was braucht es, um das zu ändern?

Die Menschen brauchen mehr Wissen zur Biodiversität, ihrem Zustand und was wir als Gesellschaft tun können, um etwas daran zu ändern. Dazu braucht es auch Informations- und Sensibilisierungsmassnahmen, die dieses Wissen zu den Leuten tragen. Denn nur wer das Problem sieht, ist auch bereit, an einer Lösung mitzuwirken. Und die Schweiz braucht vor allem eine gemeinsame Vision und Verständnis dafür, was überhaupt möglich ist. Viele Menschen in der Schweiz wissen nicht, wie zum Beispiel naturnahe Siedlungen aussehen könnten und welche immensen Vorteile sie für die Natur, aber nicht zuletzt auch für den Menschen bringen. 

Gleichzeitig boomen Wildbienenhotels und Seed-Bombs. Wie passt das zusammen?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Biodiversität ist ein komplexes Thema. Nur wenige würden von sich behaupten, darin Expert:innen zu sein. Dennoch fühlen sich viele Menschen bereits zu dem Thema hingezogen und sind sich bewusst, dass die Biodiversität bedroht ist. Sie haben einen Balkon oder Garten und möchten gerne etwas tun, wissen aber nicht, wie genau und wo sie starten können. Wir leben heute in einem immensen Informationsüberfluss und kämpfen gleichzeitig damit, für alles zu wenig Zeit zu haben. Ausserdem unterschätzen viele ihren Einfluss. Sie sind sich nicht bewusst, dass vielleicht genau ihr Balkon ein zentraler Trittstein ist und einem Schmetterling helfen kann, zur nächsten Futterquelle zu kommen.  

Da setzt das Projekt «Biodiversität. Jetzt!» an?

Genau! Wir möchten eine gemeinsame Vision in die Köpfe der Menschen tragen und die Sinnhaftigkeit und Freude hinter dem Engagement aufzeigen. Jede:r hat Potenzial und jede Fläche zählt. Mit einer Informationsoffensive über verschiedene Kanäle macht das Projekt die Biodiversität in Siedlungsgebieten zum Thema. Neben der Sensibilisierung geht es aber vor allem darum, die Natur-Interessierten abzuholen, sie zu begleiten und zu motivieren. Das ist die Aufgabe der Wissens- und Mittmachplattform. Hier kann die Reise beginnen.  

Die Reise zum nächsten Bienenhotel?

Es ist uns wichtig, keinen blinden Aktionismus zu fördern. Es bringt wenig, wenn alle Insektenhotels kaufen, aber niemand Bienenfutter rundherum pflanzt. Wir möchten auf der einen Seite Hürden abbauen und es einfach machen, für die Biodiversität aktiv zu werden. Aber auf der anderen Seite soll das, was jede:r Einzelne umsetzt, auch eine möglichst hohe Wirkung für die Natur haben. Sonst bringt das alles nicht viel. Deshalb unterstützen wir wissenschaftlich fundiert. 

Clivia Bucher

«Biodiversität ist ein farbenfrohes Thema. Das Resultat des Engagements ist sichtbar und erst noch schön anzusehen.»

Clivia Bucher, Projektleiterin «Biodiversität. Jetzt!»

Wie funktioniert die Plattform genau? Wie werde ich als Userin abgeholt?

Auf der Plattform geht es zuerst einmal darum, interaktiv herauszufinden, wer du genau bist und was du brauchst. Wie viel Zeit kannst und möchtest du investieren? Welche Ressourcen hast du? Bist du in der Lage, mit Körpereinsatz selbst anzupacken? Kennst du deine Handlungsmöglichkeiten? Wenn nicht, kannst du sie auf der Plattform kennenlernen und mehr darüber erfahren, wie genau du handeln kannst. Unser Kern-Ziel ist es, dass möglichst viele Trittsteine geschaffen werden. Also erfragt die Plattform interessierte User:innen auch: Welche Flächen hast du? Bist du bereit, sie zu transformieren? Und wenn ja: Können wir dich begleiten? Im Flächenkonfigurator kannst du für deinen Garten, aber auch deinen Balkon oder dein Fenstersims eine Vision entwickeln. Die Plattform holt dich genau dort ab, wo du gerade stehst, bringt dich einen Schritt weiter und zeigt dir hilfreiche weitere Informationen und Angebote aus der Branche. Es geht nicht darum, die nächsten zwanzig Schritte zu planen, sondern zuerst einmal das eigene Handlungspotenzial kennenzulernen und den nächsten Schritt auf der eigenen Reise für mehr Biodiversität zu machen.  

An wen richtet sich «Biodiversität. Jetzt!»?

Wir sprechen vor allem diejenigen an, die das Thema noch nicht so auf dem Radar haben, aber eine gewisse Offenheit mitbringen. Die Königsdisziplin wird sein, Balkon- und Gartenbesitzer:innen zu motivieren, auf ihren eigenen Flächen aktiv zu werden. Sie sollen erfahren, wie viel Spass darin steckt, etwas für die Biodiversität zu tun. Und da haben wir einen klaren Vorteil: Eine Heizung zu ersetzen ist zwar sehr wichtig, macht aber nicht besonders Freude. Die Biodiversität ist ein lustvolles, farbenfrohes Thema. Das Resultat des Engagements ist sichtbar und erst noch schön anzusehen.  

Es ist schon viel Herzblut, Zeit und Energie in dieses Projekt geflossen. Wo steht ihr gerade?

«Biodiversität. Jetzt!» ist ein Gemeinschaftsprojekt ‒ das ist uns besonders wichtig. In den letzten zwei Jahren haben wir vor allem analysiert, was es braucht und wer sich schon aktiv zum Thema engagiert. Wir haben viele Organisationen kennengelernt, Partnerschaftsgespräche und Workshops durchgeführt. Basierend auf diesen Informationen haben wir ein Konzept entwickelt. Aktuell sind wir in der Umsetzung der ersten Projektetappe und stecken mitten in der Entwicklung der Plattform. Unser Ziel ist es, mit einer ersten Version der Mitmachplattform Ende Februar 2025 live zu gehen.  

Partner:innen spielen also eine grosse Rolle im Gemeinschaftsprojekt? Wie ist das Projekt überhaupt entstanden?

Initiiert haben das Projekt ursprünglich Pusch und BirdLife Schweiz. Das sind auch die Trägerorganisationen des Vereins «Biodiversität. Jetzt!», den wir gegründet haben, um das Projekt umzusetzen. Wir sind aber aktuell mit über 200 Organisationen in Kontakt, die das Projekt ideell mittragen und finanziell und kommunikativ unterstützen möchten. Dazu gehören Kantone, Städte, Gemeinden, NGOs, Verbände und viele mehr. Wer offiziell Partner:in wird, trägt das Projekt gemeinsam mit uns an die Gesellschaft.  

Sie möchten Partner:in von «Biodiversität. Jetzt!» werden?

Werden Sie Teil des Gemeinschaftsprojekts, engagieren Sie sich als Partner:in und wirken Sie gemeinschaftlich mit uns für die Biodiversität in Siedlungsgebieten. 

Erfahren Sie mehr über das Gemeinschaftsprojekt «Biodiversität. Jetzt!».


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