Gemeinde
Biodiversität
Praxisbeispiel

«Die Stadt soll den Menschen gehören»

Priska Messmer
Eine grosse Familie spielt an der Elisabethenstrasse in Bern mit Kreide.

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6 Minuten Lesezeit

Biodiversität

Praxisbeispiel

In der Stadt Bern sorgt das Kompetenzzentrum öffentlicher Raum (Kora) dafür, dass die Bevölkerung den öffentlichen Raum aktiv nutzen und eigene Ideen umsetzen kann. Geschäftsführerin Claudia Luder erklärt, weshalb Kora geschaffen wurde und was eine kleine Holzfläche auf einem Parkplatz alles bewirken kann.

Frau Luder, weshalb hat die Stadt Bern ein Kompetenzzentrum wie Kora geschaffen?

Die Basis für Kora legte der Entscheid des Gemeinderats, Bern zur «Stadt der Beteiligung» zu erklären und mehr Raum für Begegnungen zu schaffen. Städte werden baulich verdichtet, der Raum wird immer knapper. Um so wichtiger ist, was im öffentlichen Raum geschieht. Die Stadt soll vermehrt den Menschen gehören, nicht den Verkehrsträgern. Und die Menschen sollen bei der Gestaltung des öffentlichen Raums mitreden können. Zu diesem Zweck wurde Kora Anfang 2019 geschaffen. Oftmals leistet ein öffentlicher Raum nicht, was er soll. Kora kann hier rasch reagieren und setzt Ideen aus der Bevölkerung mit temporären Massnahmen einfach um.

Kora kurz erklärt

Kora ist das Kompetenzzentrum öffentlicher Raum der Stadt Bern und setzt sich aus Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen der Stadtverwaltung zusammen. Es ist dem Tiefbauamt angegliedert, welches Teil der Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün ist. Kora greift die Bedürfnisse und Ideen der Bevölkerung auf und ermöglicht die aktive Nutzung des öffentlichen Raums.

Haben die Bedürfnisse der Bevölkerung an den öffentlichen Raum in den letzten Jahren zugenommen?

Ja, eindeutig. Und das war vor Kora ein Problem: Niemand war in der Stadtverwaltung so richtig zuständig für Anfragen aus der Bevölkerung zur Gestaltung des öffentlichen Raums. Mit Kora haben wir Klarheit geschaffen, wohin solche Anliegen zu adressieren sind. Kora dient als Plattform, auf der sich die Nutzerinnen und Nutzer des öffentlichen Raums und die Fachleute der Verwaltung treffen. Dabei ist die Vernetzung von Kora wichtig, auch verwaltungsintern. Denn in das Thema öffentlicher Raum sind verschiedene Amtsstellen involviert.

Kora setzt auf temporäre Massnahmen und lernende Planung. Was heisst das genau?

Wir haben gemerkt: Planungs- und Projektierungsprozesse dauern in der Stadt Bern manchmal sehr lange – und das ist nicht etwa negativ gemeint. Man will es gründlich machen und die Bevölkerung früh einbeziehen. Wenn sich aber Projekte über 10 oder 20 Jahre hinziehen, dann sind die Bedürfnisse, die man zu Beginn des Projekts erhoben hat, möglicherweise gar nicht mehr die gleichen. Mit temporären Massnahmen testen wir quasi den Ort, ziehen unsere Lehren daraus und speisen sie in die Projekte ein. Ein Paradebeispiel dafür ist die Sanierung und Neugestaltung des Bären- und Waisenhausplatzes. Die Planung dafür begann noch im letzten Jahrhundert. Im Rahmen des breit aufgestellten Mitwirkungsprozesses dazu haben wir gemerkt: Wir kommen zu keinem Resultat, zu keiner Nutzung. Also haben wir den Prozess umgekehrt. Wir haben den Platz im Sommer 2019 für drei Monate möbliert, mit Sitzelementen, Tischen und einer Bühne. Und siehe da, es gab ein klares Ergebnis: Dieser Platz erhält eine ganz andere Bedeutung, wenn sich dort Menschen aufhalten können. Erst durch die temporäre Nutzung ist uns klar geworden, wie viel Laufkundschaft der Platz hat.

Es geht also primär um ein Ausprobieren?

Ja, richtig. Beim Waisenhausplatz werden die Erkenntnisse in das Sanierungs- und Umgestaltungsprojekt einfliessen. Man weiss nun: Diesen Platz kann man nicht einfach leer lassen. Erkenntnisse gewinnen wir übrigens auch für die temporären Massnahmen selber: 2019 stellten wir fest, dass den Menschen auf dem Waisenhausplatz der Schatten fehlte. Also haben wir die Möblierung 2020 mit einem Gräser-Element ergänzt.

Worauf zielen die Anfragen für temporäre Massnahmen normalerweise ab?

Oft geht es um kleinere Massnahmen im Wohnquartier, nicht selten betreffen sie Begegnungszonen. Die Klassiker sind die sogenannten Parklets. Das sind Holzflächen, die man für eine bestimmte Zeit auf einen Parkplatz stellt und beispielsweise mit Tischen und Stühlen möbliert. Der Effekt einer eher kleinen Massnahme kann gross sein, indem ein neuer Treffpunkt im Quartier entsteht.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie eine Anfrage aus der Bevölkerung erhalten? 

Wichtig ist ein Treffen vor Ort, um zu prüfen, wie man die Bedürfnisse umsetzen kann. Zudem klären wir ab, ob wir mit kleinen grünen Inselchen eine Verbesserung für das Klima erzielen können. Die Zeit bis zur konkreten Umsetzung wird dann genutzt, um die Anwohnerinnen und Anwohner zu informieren und mögliche Konflikte zu erkennen. Hier steht Kora moderierend zur Verfügung. Wenn sich aber zu grosser Widerstand regt, verzichten wir auf die Massnahme.

Müssen die Initiierenden etwas dafür bezahlen?

Nein. Die Massnahmen sollen niederschwellig und sozialverträglich sein. Im Gegenzug haben die Initiierenden gewisse Pflichten, etwa hinsichtlich Kommunikation, Ordnung und Sauberkeit.

Die Stadt stellt Mobiliar wie Parklets, Tische und Stühle oder sogar einen Billardtisch zur Verfügung. Tragen die Menschen Sorge dazu?

Aus unserer Sicht sehr. Die Leute schätzen die temporäre Möblierung. Die Tatsache, dass sie in den Prozess eingebunden sind und bis zu einem gewissen Grad auch in der Pflicht stehen, stärkt das Verantwortungsbewusstsein und schafft Identifikation. Natürlich gibt es ab und zu Verunreinigungen, aber die bewegen sich in einem kleinen Rahmen. Gewisse Befürchtungen hatten wir diesbezüglich, das gebe ich zu. Aber wir verwenden zum Beispiel immer noch das gleiche Set an Billardkugeln wie in der Pilotphase 2018. Da fehlt keine einzige Kugel.

Was gefällt Ihnen an der Aufgabe als Geschäftsführerin von Kora?

Ich finde es sehr spannend, mit den Nutzer:innen auf eine Reise zu gehen, auf eine Veränderung und Verbesserung im öffentlichen Raum hinzuwirken und ihre Bedürfnisse in die Realität umzusetzen. Eine Verwaltung zu sein, die möglich macht – diese Rolle mag ich. Und nicht zuletzt nutze ich die Massnahmen auch selber gerne. Beispielsweise die Parklets gefallen mir sehr. Diese temporäre Erweiterung des Trottoirs ist einfach, aber sehr wirkungsvoll.

Der Artikel ist im «Thema Umwelt» 2/2021 erschienen.
Titelbild: Yoshiko Kusano


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