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Biodiversität
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Schüler:innen planen und bauen einen Naturgarten

Lara Läubli
In der Primarschule Wald (AR) setzen Kinder gemeinsam ein Biodiversitätsprojekt um.

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7 Minuten Lesezeit

Biodiversität

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Teamarbeit, Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen: In einem partizipativen Projekt lernen die Kinder für das Leben – und fürs Leben gern. Die Primarschule Wald (AR) zeigt, wie Kinder gemeinsam ein Biodiversitätsprojekt erfolgreich umsetzen.

Behutsam legen Juna und Aurea die Äste zu einem Asthaufen übereinander. «Er muss stabil sein und auch der Zugang zum Innenraum soll zum Beispiel für den Igel möglich sein», erklärt Aurea. Weiter hangabwärts bauen andere Kinder der 5./6. Klasse des Schulhauses Wald eine Sandsteinmauer und in der Nähe befestigen Fabio und Rico ein selbst gebautes Bienenhotel an einem Pfosten. Bis zu zweimal pro Woche arbeitet die Klasse von Primarlehrer Werner Hugentobler während des Unterrichts in Textilem und Technischem Gestalten und in Natur, Mensch, Gesellschaft in ihrer Naturoase. Das Projekt haben die Kinder der Schule Wald von A bis Z mitgestaltet.

Aus der Idee wird ein Vorhaben

«Der Anstoss zum Projekt kam aus dem Schülerrat», blickt Hugentobler zurück. Zufälligerweise äusserten gleich mehrere Klassen den Wunsch, etwas für die Tiere und die Umwelt zu tun. Schnell sei man bei der Idee eines Naturgartens gelandet, wofür die Kinder Feuer und Flamme waren. Die Schüler:innen recherchierten in Gruppen zu verschiedenen Themen wie Steinhaufen, Blumenwiesen oder Sträucher und fertigten Skizzen des Vorhabens an. Der Schülerrat besprach die Ideen mit den Lehrpersonen und trug sie wieder in die Klassen zurück. So nahm das Projekt nach und nach Gestalt an. «Die Lehrpersonen haben die Kinder beratend begleitet. Die Entscheide fällten – wenn immer möglich – die Schulkinder», so Hugentobler. Das habe sehr gut funktioniert, auftretende Meinungsverschiedenheiten wurden ausdiskutiert. 

Das Thema Biodiversität ist aktueller denn je: Seit Jahrzehnten nimmt die Biodiversität in der Schweiz ab. Mittlerweile sind gemäss Bundesamt für Umwelt die Hälfte der Lebensräume und ein Drittel der Arten bedroht. Ein Hauptgrund ist der Verlust von Lebensräumen durch Zersiedelung und veränderte Nutzung. Das bleibt auch für den Menschen nicht ohne Folgen, denn ein intaktes Ökosystem übernimmt wichtige Funktionen wie die Bestäubung von Kulturpflanzen, die Stabilisierung von Böden und die Reinigung von Luft, Boden und Wasser. Nicht zuletzt ist auch der Erholungsaspekt einer intakten Landschaft für den Menschen nicht zu unterschätzen. Schulen können mit der Umgestaltung ihres Aussenraums neue Lebensräume schaffen und Biodiversität praktisch erlebbar machen.

Zwei Schulkinder bauen einen Asthaufen.

In der Primarschule Wald (AR) planen und bauen Kinder einen Naturgarten. Bild: Pusch

Weiher als Preis für den Einsatz 

Nachdem in der Schule ein Konsens zum Vorhaben erarbeitet wurde, konnten die Kinder bei der Gemeinde die Baubewilligung einreichen. Sie erklärten im Antrag, dass mit einem Weiher Amphibien oder Insekten gefördert werden können, weil sie diesen als Laichplatz nutzen. Oder dass bestimmte Vogelarten am Boden brüten und somit eine Wiese benötigen und dass Sträucher wie der Schwarze Holunder oder die Kornelkirsche als Bienenweide dienen. Sie wiesen auch darauf hin, dass mit einem Asthaufen Wiesel angelockt werden und eine Sandsteinmauer Eidechsen einen Lebensraum bieten kann. Das Engagement der Primarschüler:innen zahlte sich aus, die Baubewilligung wurde erteilt und der Umsetzung stand – abgesehen von der coronabedingten Verzögerung – nichts mehr im Wege. Im Herbst 2020 wurde mit der Fertigstellung des Weihers ein Meilenstein erreicht. «Als wir das Wasser einlaufen liessen, war das wie eine Belohnung für die ganze Arbeit», erinnert sich Rico. 

 Kinder werden zu Fachleuten 

«Der Naturgarten fand ein grosses Echo im Dorf», erzählt Primarlehrer Werner Hugentobler. «Die Leute kamen, blieben bei der Naturoase stehen und die Kinder konnten als Expert:innen Auskunft geben.» Einige Familien legten auf Initiative der Kinder auch zu Hause Stein- und Asthaufen an. Die Dorfzeitung berichtete über die Schülerinitiative und es gab eine Infoveranstaltung für den Gemeinderat, wo die Schüler:innen die einzelnen Bereiche des Naturgartens vorstellten. Dass sich die Erwachsenen für ein Projekt der Kinder interessieren, habe diese sehr motiviert, blickt der Primarlehrer zurück. Die Unterstützung der Schulleitung, des Lehrpersonenteams sowie des Hauswarts sind ein Muss für ein solches Projekt. Ebenso war man in Wald auf Freiwilligenarbeit von Familien und Privatpersonen angewiesen, da das von der Schule zur Verfügung gestellte Finanzbudget nicht ausreichte. 

Glücklicherweise unterstützte die Gemeinde das Projekt. Wichtig war jedoch, dass sich die Klassen selbst um weitere Finanzierungshilfen bemühten. Dies gelang schliesslich: Mit dem Förderbeitrag der Stiftung Pusch aus dem Programm «Biodiv im Naturraum Schule» wurden die Materialien für eine Sandsteinmauer sowie eine Blumenwiese finanziert. Kam die Klasse irgendwo nicht weiter, musste sie kreativ werden: Sponsoren suchen, Eltern und Bekannte anfragen und auf vorhandenes Know-how zurückgreifen. Die Kinder haben so auch ein Gespür für die Ausgaben bekommen. «Sie waren beispielsweise überrascht, dass die Kosten für die Sandsteine aus der Bodenseeregion tiefer waren als der Transport zur Schule», berichtet Hugentobler. Solche Dinge gelte es zu durchdenken, wenn es um die Wahl von Kleinstrukturen gehe.

 Auf allen Ebenen voneinander lernen 

Bei einem solchen Projekt lernen die Kinder auf verschiedensten Ebenen, vor allem aber viel voneinander. So vertieften sie sich in Gruppen in ein bestimmtes Thema, beispielsweise zur Sandsteinmauer, zum Weiher und zu den Büschen, hielten in der Klasse Vorträge über einzelne Bereiche und wurden so zu Klassenexpert:innen auf ihrem Gebiet.

Zwei Jungs bauen ein Insektenhaus.

Die Schüler:innen bauen ein Insektenhotel, um Insekten einen Unterschlupf zu bieten. Bild: Pusch

Neben dem Wissen über Artenvielfalt erweitern die Kinder wie im Lehrplan 21 gefordert auch ihre überfachlichen Kompetenzen in Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE). Sie lernen debattieren, argumentieren, Erfahrungen teilen, andere Meinungen respektieren, Kompromisse schliessen, Entscheidungen treffen und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Auch die Aufmerksamkeit gegenüber der Umwelt wird gesteigert. «Ich nehme wahr, dass sie achtsamer durch ihre Umgebung gehen als vorher. Das ist schön», sagt Hugentobler.

«Glögglifrosch» und Feuersalamander 

Welche Tiere der Naturgarten anlockt, wird sich erst nach und nach zeigen. «Damit zum Beispiel Igel oder Kröten hereinkommen können, hat man den Zaun um 15 Zentimeter angehoben», sagt Juna und deutet auf die Umrandung, welche die 110 Quadratmeter grosse Naturoase umgibt. Die Kinder der 5./6. Klasse dokumentieren Veränderungen genau: Sie fotografieren, protokollieren und schreiben ein Journal, das sie auch der Gemeinde zugänglich machen. Pusch bietet dazu Materialien zur Erforschung und Dokumentation an. «Wir hoffen, dass der ‹Glögglifrosch› oder der Feuersalamander sich bei uns niederlassen», wünscht sich Aurea. «Glögglifrosch» ist ein anderer Name für die Geburtshelferkröte. Ein wenig haben die Kinder nachgeholfen und bei einem benachbarten Weiher Kaulquappen geholt. Wasserläufer und zwei Molche sind bereits im Weiher zu beobachten und Kohlmeisen haben sich im Vogelhaus eingenistet.

Schulkindern bauen eine Steinmauer.

Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen - die Kinder setzen das Biodiversitätsprojekt gemeinsam um. Bild: Pusch

Auch in Zukunft wird die Fläche unter Begleitung einer Lehrperson von den 5./6.-Klässlern der Primarschule gepflegt werden. Viele Kinder freuten sich deshalb, wenn sie endlich in die 5. Klasse kämen, so Hugentobler. Er wird bald pensioniert, doch ist er überzeugt: «So lange sich die Kinder interessieren, wird der Naturgarten weiterbestehen.»

Der Artikel erschien in «Bildung Schweiz» 9/2021.
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