Wege und Plätze entsiegeln – für mehr Natur und Wohlbefinden
Versiegelte Böden können wichtige Funktionen nicht mehr erfüllen. Bricht man sie auf, halten sie das Regenwasser zurück, regulieren das lokale Klima, fördern die Biodiversität und erhöhen die Aufenthaltsqualität. Das macht sich die Gemeinde Windisch zunutze.
Mehr als die Hälfte der Siedlungs- und Verkehrsflächen ist heute versiegelt – bebaut, betoniert, asphaltiert oder anderweitig befestigt. Damit gehen wichtige Funktionen wie die Wasserdurchlässigkeit oder die Bodenfruchtbarkeit verloren. Viele dieser Flächen lassen sich ohne Einbusse an Funktionalität und mit Gewinn für die Natur und das Wohlbefinden wieder entsiegeln. Denn durchlässige Oberflächen in den Städten und Dörfern bringen Vorteile mit sich, die angesichts der zunehmenden Trockenheit im Sommer, vermehrten Hitzeperioden, aber auch häufigeren Starkregenereignissen und dem Rückgang der Biodiversität immer mehr an Bedeutung gewinnen und den höheren Unterhaltsaufwand mehr als kompensieren.
Durchlässige Oberflächen
Je nach Funktionalität bieten sich verschiedene Möglichkeiten an:
Parkplätze und Hauszufahrten: Rasengittersteine und Schotterrasen
Fusswege und wenig befahrene Velowege: wassergebundene Beläge (Chaussierungen)
Erschliessungsstrassen oder Sackgassen: Pflastersteine mit breiten Fugen
Flächen, die nicht begeh- oder befahrbar sein müssen: Bäume und Sträucher, Unterpflanzungen mit Staudenmischungen, Blumenwiesen oder Ruderalflächen
Begrünte Oberflächen erhitzen sich weit weniger als Asphalt und schattenspendende Bäume tragen viel zur Aufenthaltsqualität in den Siedlungen bei. Natürlicher Boden speichert das Regenwasser, das direkt oder über die Pflanzen verdunstet und so die Umgebung kühlt. Das mindert gleichzeitig das Risiko für Überschwemmungen und überlastete Kläranlagen bei Starkregen (siehe auch die Artikel «Was braucht es für die Bäume der Zukunft?» und «Grün-blau-bunt: Regenwasser als Grundlage für biodiverse Siedlungsräume»).
Auch die Biodiversität über und im Boden profitiert von der Entsiegelung und Begrünung. Sie ermöglicht den Mikroorganismen im Boden den lebenswichtigen Zugang zu Nahrung, Wasser und Luft und bietet Lebensraum für die einheimische Fauna und Flora. In der Stadt Zürich beispielsweise wurden auf Belägen mit Rasengittersteinen über zweihundert Pflanzenarten gezählt, wobei jede zehnte zu den bedrohten Arten auf der Roten Liste gehört. Auch kleine grüne Inseln tragen dazu bei, isolierte Lebensräume im Siedlungsgebiet zu vernetzen.
«Das Potenzial liegt nicht nur bei den grossen Flächen, sondern bei den vielen kleinen.»
– Sven Schutzbach, Bereichsleiter Hochbau und Umwelt, Gemeinde Windisch
Pragmatisch und partizipativ
Genau das macht sich die Aargauer Gemeinde Windisch zunutze. Für die Planung und Umsetzung von Massnahmen zur Entsiegelung kann sie sich auf das Natur- und Landschaftsentwicklungskonzept (NLEK) stützen. Dieses hat unter anderem zum Ziel, mit der Aufwertung von toten Flächen einen Mehrwert für Natur und Menschen zu schaffen.
Dieses Ziel will Windisch pragmatisch, Schritt um Schritt erreichen. «Das Potenzial liegt nicht nur bei den grossen Flächen, sondern bei den vielen kleinen», ist Sven Schutzbach, Bereichsleiter Hochbau und Umwelt in Windisch, überzeugt. «Hier lässt sich auch mit beschränkten Mitteln viel erreichen.»
Den Anfang machte ein gemeinsames Projekt mit den «Asphaltknackern» des Naturama Aargau auf dem Areal der Fachhochschule Nordwestschweiz: Der Bereich rund um die Kegelskulptur von Herbert Distel wurde im Rahmen einer Performance und unter Einbezug des anwesenden Publikums feierlich entsiegelt. Ein einfacher Schotterrasen sorgt nun für Durchlässigkeit, ohne das Kunstwerk optisch zu konkurrenzieren. Das Ganze wurde finanziell unterstützt vom Klimafonds des Kantons Aargau.
Bei der Umgestaltung des Gemeindehaus-Vorplatzes lag die Herausforderung darin, weiterhin sichere und hindernisfreie Zugänge zu gewährleisten und sicherzustellen, dass der Platz auch künftig vielseitig genutzt werden kann. Mit Verbundsteinen bei den Parkplätzen, grossen Platten mit breiten Fugen auf dem eigentlichen Vorplatz und mehreren grosszügigen Bauminseln ist es gelungen, diese Ansprüche zu erfüllen und dennoch mehr Grün in die Umgebung zu bringen. Dasselbe gilt für den Brunnenplatz auf der Rückseite des Gemeindehauses. Hier sorgt ein sickerfähiger Mergelbelag für die gewünschte Wasserdurchlässigkeit. Und die Begrünung der grosszügigen Randflächen mit Bäumen und einer Staudenmischpflanzung freut Menschen und Natur.
«Wichtig ist, das Bauamt und den Werkhof frühzeitig einzubeziehen.»
– Sven Schutzbach, Windisch
Kommunikation – nach innen und aussen
Der Austausch zwischen den verschiedenen Abteilungen der Verwaltung, aber auch mit engagierten Gruppierungen aus der Bevölkerung gewährleistet, dass die Verantwortlichen weitere Gelegenheiten für die Entsiegelung und Begrünung rechtzeitig erkennen und nutzen. Wichtig ist aus Sicht von Sven Schutzbach auch der frühzeitige Einbezug des Bauamtes und des Werkhofs, um den fachgerechten Unterhalt und die Motivation der Mitarbeitenden langfristig sicherzustellen.
Eine transparente Kommunikation über verschiedene Kanäle wie den Gemeinde-Lifeticker, der laufend über den Stand aktueller Projekte informiert, Medienberichte, Plakate oder Aktionen unter Einbezug der Bevölkerung sorgen für eine hohe Akzeptanz der Massnahmen und motivieren zum Mitmachen. So kümmern sich beispielsweise rund 25 Personen aus dem angrenzenden Quartier um den Wildbienenstandort, der mit Unterstützung des Kantons auf einer Wiesenfläche von 400 Quadratmetern neu angelegt wurde, und rund 60 Personen beteiligten sich nach einer Altlastensanierung an einer Baumpflanzaktion.
Nützliche Infos und Hilfsmittel
Für die Planung eines klimaangepassten Aussenraums stellen sich viele Fragen: Wo gibt es Hitzeinseln? Wo bestehen Probleme mit dem Abfluss bei Starkregen? Welche Belagstypen gibt es? Wie werden naturnahe Flächen unterhalten? Welche rechtlichen Vorgaben gilt es zu beachten? Antworten dazu finden Sie hier:
Bundesamt für Umwelt (BAFU): Gefährdungskarte Oberflächenabfluss
Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA): Merkblatt «Abwasserbewirtschaftung bei Regenwetter» (rechtlicher Rahmen und Stand der Technik) und Infoplattform «Schwammstadt – Für ein klimaangepasstes Wassermanagement im Siedlungsgebiet»
Ostschweizer Fachhochschule: Hitzeinseln – (k)ein Thema für kleinere und mittlere Gemeinden?
Verschiedene Kantone: Klimaanalysekarte Kanton Zürich, Klimakarten Kanton Aargau, Klimakarten Kanton Bern und weitere
Kanton Zürich: Klimaökologische Funktionen und Prozesse für das Gebiet des Kantons Zürich – Abschlussbericht
Stadt Zürich: Förderprogramm «Mehr als Grün» und Untersuchung Pflasterfugen-Flora
Mission B: Entsiegeln für mehr Biodiversität
Kurse und Tagungen im Bereich naturnahe Grünflächenpflege und Biodiversitätsförderung in der Umweltagenda der Stiftung Pusch
Titelbild: Gemeinde Windisch