Nachhaltig beschaffen ohne Richtlinie

Nachhaltige Beschaffung ist ein komplexes Thema. Deshalb erarbeiten immer mehr Gemeinden verbindliche Beschaffungsrichtlinien. Doch es muss nicht immer eine aufwendige Richtlinie sein, auch Checklisten oder ein Leitbild können den Weg weisen. Das hat die Gemeinde Küsnacht (ZH) erkannt und gute Erfahrungen damit gemacht.
Wer schon einmal eine umfassende kommunale Richtlinie ausgearbeitet hat, weiss, dass es rasch komplex werden kann, besonders in Nachhaltigkeitsthemen. Nicht jede Gemeinde verfügt über Nachhaltigkeitsverantwortliche oder über die nötigen personellen, finanziellen oder zeitlichen Ressourcen zur Erstellung einer Richtlinie zur nachhaltigen Beschaffung.
Die gute Nachricht: Der Weg dorthin kann auch mit einfacheren Mitteln beginnen, zum Beispiel mit einer Absichtserklärung, einem Leitbild oder einem Ratgeber. Diese Instrumente sind zwar keine ausgewachsenen formellen Richtlinien für den nachhaltigen Einkauf, bieten aber trotzdem Orientierung für Gemeindemitarbeitende. Sie signalisieren den Willen, bei Ausschreibungen auch ökologischen und sozialen Kriterien Gewicht zu geben. Für diesen Weg hat sich die Zürcher Gemeinde Küsnacht mit ihrem Leitbild zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung entschieden.
Mit Leitbild pragmatisch starten
Küsnacht mit rund 14 500 Einwohner:innen hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2040 Netto-Null zu erreichen. Die nachhaltige öffentliche Beschaffung ist ein zentraler Bestandteil dieser Vision. Doch die Erstellung einer verbindlichen Richtlinie hätte viel Fachwissen und Zeit erfordert. Ausserdem gab es von verschiedenen Seiten Vorbehalte gegenüber einer formellen Richtlinie und ihrer Umsetzbarkeit. Christian Arber, Projektleiter Energie und Umwelt in Küsnacht, wagte dennoch den Start: «Wir wollten hinsichtlich der Vision 2040 eine Form der Umsetzungshandhabung für den nachhaltigen Einkauf etablieren.» Mit dem Leitbild entstand Anfang des Jahres schliesslich eine praxisnahe und motivierende Grundlage für eine klimafreundliche Beschaffung.

«Am Ende ist es hoffentlich eine Formsache, ob wir es Leitbild oder Richtlinie zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung nennen.»
– Christian Arber, Projektleiter Energie und Umwelt, Gemeinde Küsnacht (ZH)
Von der Theorie in die Praxis
«Heute kennen alle Beschaffenden innerhalb der Verwaltung dieses Leitbild – aber kennen reicht noch nicht», betont Christian Arber. Das Dokument wurde zwar in enger Zusammenarbeit mit den Abteilungsleitenden entwickelt und die Inputs von den direkt betroffenen Verwaltungsmitarbeitenden eingebracht. Doch wie würde sich das Leitbild im Arbeitsalltag etablieren?
Dafür ist einerseits der Wissensaufbau aller Einkaufenden unabdingbar. Das gelingt neben hilfreichen Links, Checklisten und Hintergrundinformationen im Leitbild auch durch die Schulung der Mitarbeitenden. Andererseits steht Christian Arber bei konkreten Nachhaltigkeitsfragen jederzeit als Berater zur Verfügung. Zudem könne die Gemeinde bei Bedarf auf verschiedene Beratungsnetzwerke wie beispielsweise Pusch, Reffnet.ch oder Prozirkula zugehen.
Lesetipps rund um Beschaffung
Nachhaltiges Einkaufen wird immer wichtiger – gerade weil die öffentliche Hand eine Vorbildrolle einnimmt, wenn sie mit Steuergeldern hantiert. Deshalb setzen immer mehr Gemeinden auf Beschaffungsrichtlinien. Patricia Letemplé, Beschaffungsexpertin bei Pusch, erklärt, was es zu beachten gilt und wo die häufigsten Stolpersteine liegen: «Das A und O für eine Beschaffungsrichtlinie ist der politische Wille»
Aus der Erfahrung der Gemeinde Muri bei Bern entstanden Tipps, wie eine nachhaltige öffentliche Beschaffungsrichtlinie angepackt werden könnte: Spicken erlaubt: 7 Tipps für eine Beschaffungsrichtlinie

Das Küsnachter Leitbild hilft auch bei der Umgebungsgestaltung: biodivers, natürlich und mit heimischen Pflanzen.
Hinterfragen, diskutieren und verbessern
Das Leitbild beweist schon nach wenigen Monaten seinen Wert. Es bietet den Gemeindemitarbeitenden einen verständlichen, einfachen Einstieg in die nachhaltige Beschaffung und ist ein hilfreiches Werkzeug bei öffentlichen Ausschreibungen. Es hilft den Einkaufenden dabei, gezielter und damit zeitsparender auszuschreiben. Zukünftig soll ein pragmatisches Controlling-System dabei unterstützen, Schwachstellen zu erkennen und aus den laufenden Beschaffungsprozessen zu lernen: Was hat funktioniert? Was nicht? Welche Aspekte wurden möglicherweise übersehen?
Stetige Kommunikation spielt in dieser ersten Phase eine wichtige Rolle: Die Mitbeteiligten im Bereich Energie und Umwelt rund um Arber werden ermutigt, regelmässig zu hinterfragen und zu diskutieren. Dabei geht es auch um die Frage, ob und in welchen Fällen eine formellere Richtlinie mehr Hilfe bieten könnte oder ob tatsächlich mehr Flexibilität nötig ist. «Wir wollen lernen, wir wollen uns kontinuierlich verbessern und wir wollen weitergehen», so Arber. Er ist überzeugt, dass sich das Leitbild organisch weiterentwickeln und von den positiven Erfahrungen der Beteiligten gestützt werde. «Ich hoffe, am Ende ist es eine Formsache, ob wir es Leitbild oder Richtlinie zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung nennen.» Wie auch immer, weder der Name noch die Form sind am Ende entscheidend, sondern der Wille, die Beschaffung auf das Netto-Null-Ziel auszurichten.
Alternativen zur Richtlinie für die nachhaltige öffentliche Beschaffung
Absichtserklärung: Absichtserklärungen sind visionär und richtungsweisend. Sie kommunizieren die langfristigen Ziele und Absichten einer Gemeinde hinsichtlich der Beschaffung. Mit diesem Instrument wird normalerweise der Startschuss für eine Richtlinie zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung gegeben. Es hilft, die gesamte Belegschaft auf dieses gemeinsame Ziel hin zu sensibilisieren.
Leitbild: Ein Leitbild definiert die grundlegenden Werte und Prinzipien, die in der Beschaffung einer Gemeinde als wichtig erachtet werden. Es fördert eine einheitliche Haltung und ist eine Richtschnur in den Ausschreibungen.
Checklisten: Checklisten führen die notwendigen Schritte oder Anforderungen für bestimmte nachhaltige Beschaffungen oder Güter auf. Sie sind nicht nur Gedankenstütze, sondern weisen auf einzuhaltende Standards hin. Ein effizientes Werkzeug in der wiederkehrenden Arbeit von Beschaffenden.
Ratgeber oder Handbuch: Ratgeber oder Handbücher bieten konkrete Tipps, Links und Anleitungen für spezifische Ausschreibungen oder Güter. Sie sind praktisch und anwendungsorientiert und bieten sich als Nachschlagewerk an.
Diese pragmatischen Alternativen helfen, den Einstieg in die nachhaltige öffentliche Beschaffung zu erleichtern, Erfahrungen zu sammeln und Vorbehalte abzubauen. Mit der Zeit können diese Hilfsmittel weiterentwickelt und in umfassendere Richtlinien überführt werden. Wichtig ist bei allen gleichermassen, dass einerseits eine Begleitung sichergestellt und andererseits eine Weiterentwicklung angestrebt wird.
Titelbild: Gemeinde Küsnacht