Treibhausgas-Bilanz: Tipps fürs KMU-Management

Noch ist die Treibhausgas-Bilanzierung für kleine und mittlere Unternehmen nicht gesetzlich vorgeschrieben. Und doch: Wer seine Bilanz kennt und optimiert, ist bereit für die Zukunft. Mit diesen konkreten Tipps gelingen die ersten Schritte.
Um der Berichterstattungs- und Sorgfaltspflicht oder ihren Netto-Null-Zielen nachzukommen, benötigen grosse Firmen immer häufiger Daten von ihren Lieferant:innen. Meistens gelangen KMU dadurch unter Druck, da deren Datenmanagement nicht genügend darauf ausgerichtet ist. Diese Beobachtung macht auch Niclas Meyer, Berater bei BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG. Im Interview «Die Spielregeln des Wettbewerbs werden neu definiert» sagt er: «Wir erwarten, dass Schweizer KMU in punkto Sorgfaltspflichten zunehmend unter Zugzwang geraten.»
Welche Vorteile bringt eine Treibhausgas-Bilanz den KMU?
Klarheit: Die Treibhausgas-Bilanz, abgekürzt THG-Bilanz oder CO₂-Bilanz, bildet einen guten Startpunkt für Verbesserungen in den Emissionswerten. Aufgrund der Daten können die «grossen» Hebel zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen identifiziert werden. Wie lässt sich ein Prozess optimieren? Wo können Materialien gespart werden? Soll eine nachhaltige Beschaffungsrichtlinie eingesetzt werden? Wodurch können Mitarbeitende eine Veränderung mittragen? Durch jährliche Messungen kann die Wirksamkeit in Zahlen aufgezeigt werden – und das gibt dem Unternehmen nicht nur Klarheit, sondern auch Sicherheit.
Kosteneinsparungen: Ursachen für hohe Emissionen lassen sich durch eine THG-Bilanz gezielt herausfiltern. Daraus ergeben sich konkrete Ansatzpunkte: alternative Abläufe, klimafreundlichere Materialien, kürzere Transportwege oder Optimierungen im Einkauf und der Infrastruktur. Das führt nicht nur zu einem neuen Denken, sondern oftmals zu Kosteneinsparungen. Eine positive Auswirkung der Emissionssenkungen.
Marktanforderungen erfüllen: Kund:innen, Geschäftspartner:innen und Investor:innen legen zunehmend Wert auf nachhaltige Geschäftspraktiken und transparente Berichterstattungen. Überprüfbare Daten und Fakten werden immer häufiger entlang einer Produkt-Lieferkette von Zuliefernden eingefordert.
Zukunftssicherheit: KMU sind besser auf zukünftige Vorschriften im Bereich Nachhaltigkeit sowie auf Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten oder auf standardisierte Anforderungen seitens ihrer Geschäftspartner:innen und Kund:innen vorbereitet. In Ausschreibungen können Kriterien zu ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten über die Auftragsvergabe entscheiden.
Gut zu wissen
Eine THG-Bilanz kann sowohl für ein ganzes Unternehmen als auch nur für ein einzelnes Produkt gemacht werden. Bezieht sich die Bilanz ausschliesslich auf ein einzelnes Produkt, wird sie als CO₂-Fussabdruck des Produkts – auch bekannt als Product Carbon Footprint (PCF) – bezeichnet.
Schritte zur Einführung der THG-Bilanz
Schritt 1: Standardauswahl
Wählen Sie einen geeigneten CO₂-Bilanzierungsstandard aus. Wir empfehlen, nach einem erprobten Standard vorzugehen. Bekannt und häufig angewandt ist das Greenhouse Gas-Protokoll (GHG-Protokoll). Alternativ gibt es diverse andere Standards wie beispielsweise ISO 14064. Prüfen Sie, was Ihre grösseren Kund:innen bevorzugen oder was in Ihrer Branche üblich ist.
Nützliche Links
Science Based Targets Initiative (SBTi) für KMU: Vorgehen Schritt für Schritt
Bilanzierung nach Greenhous Gas (GHG)-Protokoll und den drei Scopes
Bundesamt für Energie (BFE): Fahrplan Netto-Null in der THG-Bilanzierung und Excel-Selfcheck Scope Emissions Tool (PDF)
Schritt 2: Datenanalyse
Die meisten Standards gliedern die Emissionen eines Unternehmens in verschiedene Kategorien oder Bereiche. Das GHG-Protokoll unterteilt beispielsweise die Emissionen in drei Scope-Bereiche. Scope 1 und Scope 2 können am einfachsten direkt vom Unternehmen erhoben werden. Überprüfen Sie die Verfügbarkeit relevanter Daten in Ihrem Unternehmen. Oft liegt schon viel vor.
Bei den meisten Unternehmen entfällt jedoch ein massgeblicher Teil der Emissionen – rund 60 bis 80 Prozent – auf Scope 3. In diesem Bereich liegt somit grosses Potenzial für Optimierungen. Daher raten wir, Scope 3 von Anfang an mit einzubeziehen und sich ihm anzunähern.
Weil die Datenerhebung die gesamte Lieferkette einbezieht, ist sie oft aufwendiger. Umso wichtiger ist eine gute Zusammenarbeit mit Ihren Geschäftspartner:innen und Lieferant:innen. Fragen Sie am besten direkt nach, ob bereits Informationen zu deren Produkten oder Dienstleistungen vorhanden sind – sie haben solche Daten vielleicht schon parat.
Lesetipps
Interview «Die Spielregeln des Wettbewerbs werden neu definiert» zum aktuellen Stand der Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten in der Schweiz und in der EU.
Wie es gelingt, Zuliefernde mit ins Boot zu holen. Ein Praxisbeispiel: Emissionen reduzieren: Thermoplan holt Lieferant:innen ins Boot
Praxisbeispiel rund um die Scopes eines Dienstleistungsunternehmens: Scope 3 im Blick: Wie die Firma intep ihre Emissionen senkt
Schritt 3: Nachhaltigkeitsverantwortliche ernennen
Bestimmen Sie eine verantwortliche Person oder eine Arbeitsgruppe, die sich gezielt um Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen kümmert. Diese Stelle sollte die Koordination übernehmen, regelmässig informieren und die Umsetzung der Massnahmen im Blick behalten.
Wichtig ist: Die strategische Ausrichtung und die Aufgabe der Nachhaltigkeitsverantwortlichen muss von der Geschäftsleitung unterstützt werden. Denn letztlich müssen alle, vom Management bis zu den Mitarbeitenden, mitwirken – sei es beim Erfassen von Daten oder bei der Umsetzung von Massnahmen wie beispielsweise beim nachhaltigeren Einkauf.
Schritt 4: Genaue CO₂-Reduktionsziele festlegen
Setzen Sie sich ambitionierte, messbare und realistische Ziele, beispielsweise «bis 2030 den Treibhausgasausstoss um 40 % reduzieren». Solche Ziele lassen sich für jeden Bereich (beispielsweise Scope 1, 2 oder 3) separat festlegen. Sie helfen dabei, passende Massnahmen zu finden und einzuschätzen, was tatsächliche Hebel sind, die spürbare Emissionsreduktionen bringen.
Schritt 5: Monitoring planen
Die erste CO₂-Bilanz bildet den Startpunkt – Ihr sogenanntes Basisjahr. Um zu erkennen, welche Massnahmen Wirkung zeigen, ist eine regelmässige Überprüfung entscheidend. Wir empfehlen ein jährliches Monitoring, um Ihren Absenkpfad weiterzuverfolgen.
Schritt 6: Kommunikation
Eine stetige und verständliche Kommunikation hilft, die Bedeutung der Klimaziele für alle im Unternehmen greifbar zu machen. Ob als Bericht, als Medienmitteilung, als Geschäftsbrief oder als interne Meldung: Erfolge sollten offen kommuniziert werden – genauso wie Ziele, die (noch) nicht erreicht wurden. In solchen Fällen ist es wichtig, transparent darzulegen, woran es gelegen hat und welche Schritte geplant sind, um diese Ziele künftig doch noch zu erreichen.
Reduktionsziele, geplante Massnahmen und bereits erzielte Erfolge eignen sich auch hervorragend, um Mitarbeitende mitzunehmen und für die Sache zu begeistern. Oft kommen gerade aus den Teams selbst wertvolle Ideen für CO₂-Reduktionsmassnahmen. Diese Inputs sollten unbedingt aufgenommen und geprüft werden.

An Workshops mit Mitarbeitenden kommen oftmals praktische Ideen für klimafreundlicheres Handeln zusammen.
Schritt 7: Software nutzen
Je komplexer Ihr Unternehmen ist, desto komplexer die Datenerhebung. Sobald die Lieferkette über verschiedene Zuliefernde oder international verwoben ist, lohnt sich eine Software-Anschaffung. Die Auswahl ist riesig und nicht einfach zu treffen. Nutzen Sie die erste Bilanz zum Lernen, wie und wo Ihre Daten in welcher Qualität verfügbar sind. Wenn Sie diesen Prozess einmal durchlaufen haben, können Sie viel besser einschätzen, welche Anforderungen Sie an eine Softwarelösung benötigen. Auch eine externe Beratung kann dabei helfen, die passende Auswahl zu treffen.
Häufige Stolpersteine und Tipps, diese zu vermeiden
Unklare Zuständigkeiten: Die Aufgabe wird oft an Personen ohne ausreichende Befugnisse oder mit zu vielen Aufgaben delegiert.
Tipp gegen unklare Zuständigkeiten
Die Geschäftsführung sollte eine verantwortliche Person mit ausreichender Entscheidungs- und Handlungskompetenz benennen. Gleichzeitig gilt es, durch klare Priorisierung die nötigen Kapazitäten bei den Schlüsselpersonen im Unternehmen zu schaffen. Eine offene und regelmässige interne Kommunikation ist dabei zentral: Sie sollte immer wieder die Bedeutung dieses Schrittes für die Zukunft des Unternehmens, die Rollenverteilung und den internen Ablauf vermitteln.
Aufwand unterschätzen: Die erste Erhebung ist immer aufwendiger und komplexer als gedacht, ab der zweiten Erhebung sollte es nach und nach einfacher werden.
Tipp gegen unterschätzten Aufwand
Eine zentrale Stelle für die Datenerfassung und -verwaltung hilft, die Art der Erhebung und damit die Qualität der Daten und der Auswertungen sicherzustellen. Und ja, mit jedem Jahr sind die Prozesse eingeschliffener und einfacher. Trotzdem ist es empfehlenswert, genügend zeitliche und personelle Ressourcen dafür einzuplanen.
Perfektionismus: Viele Unternehmen neigen während der Datensammlung zu Perfektionismus.
Tipp gegen Perfektionismus
Eine komplette Datensammlung anzulegen, kann schon abschrecken. Dennoch unser Tipp: Beginnen Sie. Geben Sie sich Zeit zum Lernen, dokumentieren Sie aktuelle Schwächen in den Daten und verbessern Sie schrittweise, aber kontinuierlich. Es wird mit jedem Jahr eingespielter und leichter.
Unklare Zielsetzung: Eine THG-Bilanz nur zu erstellen, weil es erwartet wird, führt oft zu einer oberflächlichen Bilanz und vergibt Chancen.
Tipp gegen eine unklare Zielsetzung
Mit klar definierten und messbaren Zielen wird die THG-Bilanz zu einem wertvollen Werkzeug für Ihre Massnahmen – und zu einem Motor für kontinuierliche Verbesserung. Denn Potenzial zur Optimierung gibt es in jedem Unternehmen und in jedem Jahr. Besonders motivierend wirkt es, wenn der Absenkungspfad im Vergleich zum Basisjahr in einem Bericht oder einer internen Kommunikation kommuniziert wird – für Mitarbeitende, Partner:innen und andere Stakeholder gleichermassen.
Methodische Fehler: Die Zuordnung von Emissionen zu den Kategorien des GHG-Protokolls ist nicht einfach.
Tipp gegen methodische Fehler
Nehmen Sie sich die Zeit, die verschiedenen Emissionskategorien genau zu verstehen – besonders im komplexen Bereich von Scope 3. Orientieren Sie sich dabei an anerkannten Standards wie dem GHG-Protokoll, das Ihnen mit klaren Schritten den Weg weist. Sollte der Prozess zu aufwändig oder unübersichtlich werden, gibt es zahlreiche Dienstleistungsunternehmen und Beratungsfirmen, die Sie dabei professionell begleiten können.
Ärmel hochkrempeln und loslegen
Doch wo fangen Sie jetzt genau an? Unsere Empfehlung:
Beginnen Sie mit Schritt 4 und definieren Sie Ihre übergeordneten Ziele.
Definieren Sie klare Zuständigkeiten und stellen Sie die nötigen zeitlichen und personelle Ressourcen bereit.
Sammeln Sie die Zahlen gemäss eines ausgewählten Standards – und bleiben Sie diesem treu.
Dokumentieren Sie Fehler und Schwächen – dann haben Sie einen guten Startpunkt. So können Sie sich gezielt verbessern.
Titelbild: Kraftwerk Burshtyn, Raimond Spekking (CC BY-SA 4.0)